Bündnerteller
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Wer im Kühlregal nach «Bündner Bergkäse» sucht, betritt ein Labyrinth aus Definitionen, Ansprüchen und juristischen Spitzfindigkeiten. Da ist der Bündner Bergkäse der Sortenorganisation mit seinem roten Steinbock-Logo. Gleich daneben: der Davoser Bergkäse, der Savogniner Bergkäse und der Disentiser Bergkäse – allesamt aus Graubünden, allesamt Bergkäse, aber eben nicht «der» Bündner Bergkäse.
Ein gescheiterter Antrag auf geschützte Ursprungsbezeichnung, eine Interessengemeinschaft namens «Bündner Bergkäse ohne AOC», Bundesgerichtsentscheide und eine Verordnung zu landwirtschaftlichen Zonengrenzen, die festlegt, was «Berg» überhaupt bedeutet – das ist die verwirrende Welt eines Käses, dessen Name so vielschichtig ist wie sein Geschmack. Und dessen Geschichte viel über die Komplexität alpiner Lebensmittelproduktion verrät.
Neun Dorfkäsereien – allesamt über 1000 Meter über Meer gelegen – bilden das Rückgrat der Sortenorganisation Bündner Bergkäse. Mehrere Hundert Bergbauern liefern die Milch für jährlich 250 Tonnen Bündner Bergkäse, wobei strenge Vorgaben gelten: Zur Herstellung von Bündner Bergkäse Bio wird ausschliesslich frische Kuhmilch aus Bergwiesen- und Bergheu-Fütterung verwendet. Also keine Silage und kaum Kraftfutter. Das Heu stammt ausschliesslich aus einheimischen Quellen.
Der Weg von der Milch zum fertigen Laib folgt einem präzisen Protokoll: Die Milch wird auf 30,5 bis 32°C erwärmt, mit Lab und speziellen Kulturen versetzt und nach der Gerinnung mit der Käseharfe bei 41 bis 47°C geschnitten. Nach einer Haltephase zur Molkeabsonderung erfolgt die Formpressung in runde Laibe – ein Verfahren, das in seinen Grundzügen seit Jahrhunderten besteht.
Eine Besonderheit des Bündner Bergkäses liegt in der Verwendung thermisierter Milch, die kurzzeitig auf 68°C erhitzt wird. Diese Behandlung – weniger intensiv als eine Pasteurisierung – dient der Hygienesicherung bei gemischter Milchlieferung, bewahrt aber wesentliche Milchbakterien für die Aromenentwicklung. Die mindestens dreimonatige Reifung entwickelt ein mild-buttriges Grundaroma mit würzigen Untertönen, so die Selbstbeschreibung der Berkäse-Organisation.
Wie aber gewährleistet man gleichbleibende Qualität bei dezentraler Produktion über 30 Täler hinweg? Die Antwort liegt in einem ausgeklügelten System aus Kontrollen und Standards. «Wir verfügen über Taxationsexperten, also ausgewiesene, neutrale Käsespezialisten», erläutert Curdin Giger, Geschäftsführer der Sortenorganisation. Diese prüfen regelmässig Proben aus der laufenden Produktion – mit einem speziellen Käsebohrer wird ein Stück aus dem Laib entnommen und sowohl sensorisch als auch im Labor analysiert.
«Jede Tagesproduktion wird durchgeprüft», betont Giger. Entspricht ein Käse nicht den strengen Vorgaben, wird er deklassiert und darf nicht mehr unter dem Logo des Bündner Bergkäses verkauft werden. «Dieser Käse wird dann als Schmelzware oder Verarbeitungsware verkauft, darf aber nicht mit dem Logo der Sortenorganisation verkauft werden.»
Diese Qualitätskontrolle ist umso wichtiger, als natürliche Schwankungen unvermeidlich sind – etwa beim Wechsel von Winter- auf Sommerfütterung, wenn sich der Milchgehalt verändert. «Es ist ja ein Naturprodukt», gibt Giger zu bedenken, «es wird auch nie hundertprozentig identisch sein.» Dennoch soll der Konsument «bei jedem Kauf das gewohnte Geschmackserlebnis haben, egal von welcher Käserei».
Trotz dieser strengen Selbstregulierung bleibt ein Faktum bestehen, das die Sortenorganisation vor besondere Herausforderungen stellt: Der Name «Bündner Bergkäse» ist – im Gegensatz etwa zum Bündner Fleisch – nicht geschützt. Der Versuch, eine geschützte Ursprungsbezeichnung (GUB) zu erlangen, scheiterte 2013.
Das Bundesamt für Landwirtschaft lehnte den Antrag ab, da die Sortenorganisation weder die erforderliche Repräsentativität der Produktionsmengen (nur 54 % Marktanteil im Kanton) noch die Einbindung ausreichender Käsereien nachweisen konnte. Zudem fehlte eine klare Abgrenzung zu regionalen Konkurrenzprodukten wie Davoser oder Savogniner Bergkäse.
Die Opposition formierte sich in der Interessengemeinschaft «Bündner Bergkäse ohne AOC», die 14 Käsereien aus dem Kanton vereinte. Diese stellten zusammen nicht nur mehr Bergkäse her als die Sortenorganisation, sondern repräsentierte auch mehr Hersteller von Bündner Bergkäse als die Sortenorganisation. Sie fürchteten, etablierte Regionalmarken aufgeben zu müssen und mit Produktionsvorschriften konfrontiert zu werden, die für viele nicht umsetzbar wären.
Ohne den Schutz einer geschützten Ursprungsbezeichnung muss sich der Bündner Bergkäse der Sortenorganisation im freien Markt behaupten. «Die Herausforderung ist heute, unseren Mehrwert im Markt ersichtlich zu machen», erklärt Giger. «Der Konkurrenzdruck in der Schweiz ist hoch, mit anderem Sortenkäse oder auch mit No-Name-Produkten.»
Zwar unterliegt die Bezeichnung «Bergkäse» der Schweizer Berg- und Alpverordnung, die vorschreibt, dass die Herstellung im Berggebiet (über 600 m ü. M.) erfolgen muss. Doch ohne geografischen Zusatz bleibt der Begriff frei nutzbar, solange diese Minimalanforderungen erfüllt werden. Seltsame Blüten treibt die Regel, dass Alp-Käse streng reglementiert, die Bezeichnung «Alpen-Käse» jedoch für jeden in der Schweiz produzierte Käse verwendbar ist.
Die Sortenorganisation setzt derweil auf eine klare Markenstrategie: vereinheitlichte Etikettierung mit Farbcodierung (Gold für Bio extra, Rot für würzige Varianten), Transparenz durch Käsereinummern auf dem Käse und die Betonung freiwilliger Standards, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen.
Die langfristige Strategie der Sortenorganisation zielt darauf ab, die Milchproduktion im Kanton Graubünden zu halten – keine Selbstverständlichkeit angesichts des Strukturwandels der letzten Jahrzehnte. «In den letzten Jahrzehnten wechselten viele Betriebe von der Milchproduktion zur Mutterkuhhaltung», so Giger. «Das verringerte die Milchmenge.» Eine Entwicklung, die politisch durch die Direktzahlungsverordnung gefördert wurde, aber die Sortenorganisation vor Herausforderungen stellt: «Die Gefahr besteht, dass irgendwann nicht mehr genug Milch produziert wird.»
Gleichzeitig zeichnet sich eine Zentralisierung der Käsereien ab – wo früher fast jedes Dorf eine eigene Käserei hatte, konzentriert sich die Produktion heute auf wenige, etwas grössere Standorte. Im Vergleich zu Käsereien im Mittelland ist es in Graubünden aber immer noch sehr kleinteilig.
Neue Impulse kommen durch Projekte regionaler Entwicklung (PRE), die kleinere Spezialitätenkäsereien hervorbringen – wie etwa die Biokäserei Prättigau, eine auf Geiss- und Schafmilch spezialisierte Käserei, die vor etwa zehn Jahren entstanden ist.
Autor Julian Reich ist Redaktionsleiter der «Terra Grischuna». Er isst auch gern mal Tilsiter. julian.reich@somedia.ch
Online www.buendnerbergkaese.ch