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Ein Besuchermagnet: Der Lai Barnagn gehört noch heute zu den grössten Attraktionen im Savogniner Sommer.
Ein Besuchermagnet: Der Lai Barnagn gehört noch heute zu den grössten Attraktionen im Savogniner Sommer.
In Graubünden muss man Leo Jeker kaum jemandem vorstellen. Als «Schneepapst», alt Standespräsident und Vollbluttouristiker eilt ihm sein Ruf voraus. In seinem «Lebensbuch» erzählt er nun von seinem Werdegang – und auch von der Entstehung des einzigartigen Seeparkplatzes Lai Barnagn.

Man schreibt das dritte Jahrzehnt in der Geschichte der Savogniner Nandrò-Bahnen. Es bringt weitere Investitionen am Berg mit sich: 1984 entsteht ein neues Bergrestaurant in Tigignas, ein Jahr später geht eine Dreiersesselbahn zwischen Tigignas und Somtgant in Betrieb. Und schon seit 1983 tragen sich die Bergbahnen mit dem Gedanken, die Zubringeranlage von Savognin nach Tigignas zu erneuern. Aus der Zweiersesselbahn soll eine kuppelbare Vierersesselbahn werden. Nicht grundlos.

«Ich hatte mich ja immer wieder bemüht, Cargäste nach Savognin zu holen, gerade für die Zwischensaison und die Tage unter der Woche. Ski- und andere Sportclubs oder Schulen beispielsweise, die haben dann Spezialangebote bekommen. Die ganze Bündner Kantonsschule haben wir in Etappen zu Skitagen eingeladen. Die Schülerinnen und Schüler durften gratis an den Berg, und wir haben ihnen Picknickräume zur Verfügung gestellt. Motivation zum Skifahren!»

Das gesamte Swissair-Personal eingeladen

«Einmal haben wir auch dem gesamten Personal der Swissair angeboten, zu uns zu kommen, mehrere Tausend Angestellte waren das, und sehr viele haben die Einladung tatsächlich angenommen. Vier Samstage im Januar haben wir ausgewählt und die Leute auf diese Tage verteilt. Die Idee dabei war: Wir leisten jetzt auch einmal etwas für euch – ihr holt uns ja bei der Swissair Gäste aus der ganzen Welt nach Graubünden. Ein Dankeschön quasi. Das war ein grosser Erfolg. Einige sind zu Stammgästen geworden oder haben sogar eine Ferienwohnung im Tal gekauft.»

«Ortsskitage haben wir ebenfalls eingeführt, zum Beispiel für die Einwohnerschaft von St. Gallen, Buchs, Frauenfeld, Zürich oder Winterthur. Und von Coop gab es mehrere Jahre lang einen ‹Ski-Express› aus der Ostschweiz nach Savognin. Mit wenig Aufwand eine gute Präsenz bekommen und dafür sorgen, dass die Leute Freude haben, das war unser Ziel. Und es hatte einen nachhaltigen Effekt. Dann musste ich aber feststellen: Andere Destinationen machen das mit den Cars jetzt auch. Also haben wir mit möglichst einfachen Mitteln versucht, Gegensteuer zu geben. Dabei hat sogar mein damals rund zwölf Jahre alter Sohn Björn mitgeholfen. Praktische familieninterne Marktbearbeitung.»

«An Weihnachten und Neujahr sowie in den Wintersportferien in den Jahren 1984 und 1985 hat Björn an einigen Tagen abwechselnd bei der Ganda am Eingang zum Prättigau und bei Malix auf einem Baum an der Hauptstrasse Posten bezogen und den Verkehr beobachtet. Er hat die Namen und Herkunftsorte der Cars notiert, die vorbeifuhren, in der Ganda in Richtung Davos, bei Malix in Richtung Lenzerheide. Anhand dieser Informationen konnten wir dann bei der Nandrò AG Auswertungen vornehmen und Kontakte zu den gesichteten Busbetreibern knüpfen. Dasselbe hat Björn übrigens mit den Lastwagen gemacht. Denn meine Frau Isabella arbeitete zu der Zeit bei der Transportfirma Kuoni in Chur – und auch für dieses Unternehmen waren solche Informationen nützlich.»

Die Kapazitäten kommen an ihre Grenzen

Die Bemühungen um Cargäste sind zeitweise so erfolgreich, dass die Kapazitäten am Berg an ihre Grenzen kommen. Also braucht es dort den erwähnten Ausbau. Dabei gibt es allerdings ein grundsätzliches Problem: Soll die Transportkapazität hinauf ins Skigebiet erhöht werden, braucht es rund 700 zusätzliche Parkplätze im Bereich der Talstation. Denn die Bergbahnen haben schon jetzt zunehmend Probleme, ausreichend Parkierungsflächen zur Verfügung zu stellen, für Personenwagen wie auch für Busse. Doch wie und wo die neuen Parkplätze bauen? Zumal eine graue Parkingfläche insbesondere während der Sommermonate keine Augenweide ist.

Der damalige kommunale Bauamtsleiter Baltermia Peterelli erinnert sich im Gespräch mit der Sursetter Tourismusorganisation: Zunächst kommt die Idee auf, die Parkplätze jeweils für die Wintersaison mit dem Einsatz von Rollteppichen aus Stahl im Gebiet La Nars einzurichten. Solche Teppiche werden für militärische Zwecke benutzt, um provisorische Start- und Landeflächen einzurichten. Doch der Anschaffungspreis und die jährlichen Kosten für den Auf- und Abbau erweisen sich als zu hoch. Eine andere Idee muss her.

Zufälligerweise beschäftigt sich Savognin zu dieser Zeit auch mit Plänen für eine Steigerung der Sommerattraktivität durch ein Freizeitangebot mit Wasser. Gemeindekanzlist Leza Spinatsch und Baltermia Peterelli unternehmen deshalb einen Ausflug nach Disentis-Fontanivas, um den Badesee beim Campingplatz am Vorderrhein zu besichtigen. «Und dort kam uns die Idee: Lass uns auch einen Badesee bauen, und zwar im Gebiet Barnagn in unmittelbarer Nähe der Bergbahn-Talstation. Auf den Winter hin könnten wir das Wasser ablaufen lassen und den Seegrund als Parkplatz benutzen.»

Ein erster Abdichtungsversuch misslingt

Zurück in Savognin, wird kurzerhand ein Versuch gestartet. Mitarbeiter der Werkgruppe graben ein Becken und füllen es mit Wasser. Doch auch eine Auskleidung mit Lehm hilft nicht: Das Wasser versickert schneller, als das Becken sich füllen kann. Schliesslich wird ein französischer Spezialist für Belagsbeckenbauten beigezogen. Dieser stellt fest: Zwar gibt es wohl noch nirgends auf der Welt ein Doppelnutzungsbecken, das als Badesee und als Parkplatz dienen kann, möglich sei die Realisierung eines solchen Bauwerks aber durchaus. Der Lösungsvorschlag sieht vor, zuerst eine wasserdichte Schicht und darüber einen strapazierfähigen Deckbelag einzubauen.

Spinatsch und Peterelli stellen das Projekt dem Gemeindevorstand vor, stossen aber sowohl dort als auch beim Kur- und Verkehrsverein anfänglich auf wenig Begeisterung. Deshalb wollen die beiden von der Bevölkerung hören, was sie von der Idee einer Doppelnutzungsanlage hält. An einem Informationsabend im Hotel «Pianta» spricht sich eine Mehrheit der rund 80 Anwesenden für das Vorhaben aus; Kritik kommt in erster Linie von den Landwirten, die sich wegen des drohenden Kulturlandverlusts wehren. Doch nach dem erfolgreichen Orientierungsanlass ist auch der Gemeindevorstand bereit, das Projekt zu unterstützen – und die Bergbahnen sind ebenfalls mit im Boot. Eine paritätische Projektgruppe mit Spinatsch und Peterelli von der Gemeinde sowie Tobias Kuoni und Leo Jeker als Nandrò-Vertreter treibt die Pläne voran.

«Die Bergbahnen hatten in Barnagn eine grosse Parzelle. Ich habe ja immer wieder dafür gesorgt, dass wir seitens der AG Land kaufen können. Wenn sich eine Unternehmung weiterentwickeln will, braucht sie Boden. Weitere Flächen haben der Gemeinde und Privaten gehört. Mit Bodentausch und Dienstbarkeitsverträgen haben wir dann eine einzige Parzelle daraus gemacht, die der Gemeinde gehört. Wir bekamen dafür die Nutzung im Winter gratis; die Schneeräumung war unsere Sache, der Sommersee war Sache der Gemeinde. So konnten wir das Ganze kosten- und betriebsmässig klar trennen.»

Die Kosten teilen sich Bahnen und Gemeinde

«Ich bin dann auch noch nach Chur zum Spezialisten von Pro Natura, Christian Geiger, ich wollte eine Beratung für die Gestaltung des Sees und des Umschwungs. Bei Pro Natura hat man uns an eine erfahrene Zürcher Firma weitervermittelt. Liegewiesen, ein Betriebsgebäude, ein Rundweg um den See und ein Biotop zwischen See und Julia – so haben wir es dann gemacht. Die Kosten von 2,5 Millionen Franken haben wir zwischen den Bergbahnen und der Gemeinde geteilt.»

Schliesslich stimmt die Gemeindeversammlung von Savognin dem Vorhaben klar zu, und im Mai 1986 können die Arbeiten am Lai Barnagn beginnen. Nach einer Bauzeit von gerade mal vier Monaten wird der See im Rahmen eines Probestaus ein erstes Mal geflutet, und im Winter 1986/87 steht die Fläche ebenfalls zum ersten Mal als Parkplatz zur Verfügung. Der «Parking-Bergsee», eine Weltneuheit, ist rund 250 Meter lang, 60 Meter breit und bis zu zweieinhalb Meter tief, seine Fläche beträgt 15 000 Quadratmeter. «Durch die Doppelfunktion dieser Mehrzweckanlage», heisst es in einer Baureportage vom November 1986, «konnten verschiedene, viel geäusserte Wünsche umweltfreundlich und kulturlandsparend verwirklicht werden.»

«Und das in einem Blitztempo von der Idee bis zur Umsetzung. So etwas kann man heutzutage vergessen. Einfach vergessen. An diesem Beispiel sieht man einmal mehr: Machen ist wichtig, und zwar zusammen. Mich freut es heute noch, wie gut das geklappt hat. Nach der Eröffnung konnten wir auch endlich wieder Cars parkieren lassen. Mit Gästen von überallher. Wir hatten manchmal 40, 50 Busse in Savognin, sogar aus Como, aus dem Bodenseegebiet bis nach Ravensburg, aus dem Raum Zürich-Aargau. Das vermissen wir heute.»

Die Parkplatzprobleme sind passé

«Vor dem Bau des Lai Barnagn hatten wir ein Carregime einführen müssen, die Chauffeure mussten ihre Fahrzeuge teilweise in Burvagn bei Cunter parkieren, weil wir schlicht keinen Platz bei der Talstation hatten. Wir haben den Fahrern aber immer Gutscheine gegeben, damit sie in Tigignas gratis zu Mittag essen konnten. Die Gäste habe ich zum Teil selber begrüsst und sie informiert, wo es gerade gut ist zum Skifahren und wo sie aufpassen müssen.»

Dank der innovativen Doppelnutzungsanlage sind die Platzprobleme ab 1986/87 passé. Die Vierersesselbahn nach Tigignas wird 1988 eröffnet. Und der Verkehrsverein Graubünden nutzt den Lai Barnagn sogar in einer Werbekampagne für «die Ferienecke der Schweiz». Der Titel: «GR 4831, bitte sofort umparkieren.» Dann: «Da will man es richtig machen und stellt den Wagen korrekt auf dem öffentlichen Parkplatz ab, und dann ist es wieder nicht recht. Wo sind wir denn da? In Graubünden eben, auf dem weltberühmten Parkplatz von Savognin. Da stauen sich im Sommer nämlich nicht Autos, sondern das kristallklare Wasser des Flüsschens Julia, das den Parkplatz in einen einladenden Badesee verwandelt. Womit sich die Zahl der Seen und Seelein Graubündens für ein paar Monate kurzfristig von 615 auf 616 erhöht. (Vergessen Sie also bitte Taucherbrille und Schnorchel nicht, wenn Sie Ihren Wagen im Sommer unbedingt auf dem Winterparkplatz in Savognin abstellen möchten.)» PS: Die Autonummer «GR 4831» ist nicht einfach frei erfunden – es ist jene von Familie Jeker.

Weitere Infos

Autor Jano Felice Pajarola ist Redaktor der Tageszeitungen «Südostschweiz» und «Bündner Tagblatt». janofelice.pajarola@somedia.ch

Jano Felice Pajarola: «Leo Jeker – Machen! Lebensbuch eines Tourismus­büazers».
Somedia Buchverlag, 176 Seiten, 29 Franken, ISBN 978-3-907095-91-1.