
Hoher Zweitwohnungsanteil: Rund 8000 Ferienwohnungen gibt es in den Gemeinden Flims, Falera und Laax (im Bild). (Foto: Livia Mauerhofer)
Nach Jahren der Konfrontation suchen Einheimische und Zweitwohnungsbesitzer in Flims Laax Falera neue Wege der Zusammenarbeit. Eine aktuelle Studie identifiziert die Problemfelder und zeigt Lösungen auf. Im Interview spricht IG-Präsident Patrick Seliner über Transparenz, Mitsprache und gemeinsame Ziele.
Es ist ein Dauerthema in allen Tourismusregionen Graubündens: das Verhältnis zwischen den Einheimischen und den Besitzerinnen und Besitzern von Zweitwohnungen. In der Region Flims Laax Falera brach der Konflikt vor bald zehn Jahren auf, als die Gemeinden neue Gästetaxen einführten und sich die Zweitheimischen gegen die neuen Steuern wehrten. Der Streit wurde letztlich vor Bundesgericht entschieden, das den Gemeinden recht gab. Die Nachwirkungen dieses Streits sind noch heute zu spüren.
Eine von der rund 700 Mitglieder zählenden Interessengemeinschaft Flims Laax Falera (IG FLF) in Auftrag gegebene Studie hat nun die Beziehung zwischen Erstwohnungsbesitzern (EWB) und Zweitwohnungsbesitzern (ZWB) in der Destination untersucht. Die Studie fusst auf einer umfassenden Recherche, Gesprächen mit Interessenvertretern und mit Einheimschen wie auch Zweitheimischen. Sie hat ergeben, dass soziokulturelle Faktoren die subjektiven Wahrnehmungen zwischen EWB und ZWB massgeblich beeinflussen, während wirtschaftliche und politische Potenziale die Diskussionen dominieren – kurz gesagt: Man versteht sich nicht und streitet zu oft ums Geld. Die Studie hat rund 20 potenzielle Handlungsfelder identifiziert, vier davon sollen umgesetzt werden:
– Eine auf Zweitwohnungsbesitzer ausgerichtete Kundenkarte.
– Der Einsitz in der Tourismusorganisation FLF Management AG
– Spezielle Events für ZWB
– Überarbeitung der Strategie der IG inklusive Imagekorrektur

Seit drei Jahren Präsident der IG Zweitwohnungsbesitzer: Patrick Seliner auf der Terrasse seiner Wohnung in Laax. (Foto: Julian Reich)
Die Relevanz der Zweitwohnungen für die Region FLF ist erheblich, da rund zwei Drittel der Übernachtungen auf Zweitwohnungen entfallen. Die Region zählt über 8000 Zweitwohnungen und verzeichnet jährlich mehr als 370 000 Logiernächte – davon entfallen zwei Drittel auf Zweitwohnungen. Gemäss Zahlen des Kantons werden im Durchschnitt pro Jahr 11 500 Franken pro touristische Zweitwohnung investiert, fast 90 Prozent dieser Investitionen betreffen Bautätigkeiten wie Umbauten und Renovationen – allein das bedeutet bereits einen massiven Faktor für die lokale Wirtschaft.
Patrick Seliner ist seit drei Jahren Präsident der IG Zweitwohnungsbesitzer Flims Laax Falera. Er hat seinen Erstwohnsitz in Abtwil SG, ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Beruflich ist er selbstständiger Strategie- und Digitalisierungsberater. Für das Interview hat er nach Laax geladen.
Herr Seliner, wir treffen uns in Ihrer Zweitwohnung in Laax. Wie oft sind Sie hier?
Ich nutze unsere Wohnung sehr oft, sowohl am Wochenende und in den Ferien als auch unter der Woche zum Arbeiten. Ich würde sagen, dass ich 80 Prozent meiner Wochenenden hier verbringe und auch viele ganze Wochen unter dem Jahr. Wie die Einheimischen gehe ich lieber dann auf die Skipiste, wenn nicht gerade alle Touristen im Dorf sind.
Welchen Bezug haben Sie zur Region?
Wir haben diese Wohnung 2016 gekauft. Aber schon als Jugendlicher war ich oft in der Region, denn die Eltern meiner Frau hatten einen Wohnwagen in Flims. In Jugendjahren sind wir hier viel Ski gefahren. Als wir uns nach einer Zweitwohnung umsahen, war schnell klar, wo wir uns etwas suchen würden.
Sie sind seit etwas mehr als drei Jahren Präsident der Interessengemeinschaft der Zweitwohnungsbesitzer und -Besitzerinnen von Flims, Laax und Falera. Was hat Sie an diesem Amt gereizt?
Gereizt hat mich, einen Veränderungsprozess mitzugestalten, der schon vorher begonnen hatte. Ich möchte ihn weiterführen.
Was hat sich denn verändert?
Früher war die Diskussion zwischen Einheimischen und Zweitheimischen stark differenzorientiert. Es ging darum, was uns unterscheidet, wo die Bedürfnisse verschieden sind. Das wollen wir aufbrechen und den Fokus auf Gemeinsamkeiten legen.
Es gab ja auch genügend Differenzen, die die IG und die Gemeinden bis vor Bundesgericht ausfochten, Stichwort Gästetaxen.
Ja. Und da ist viel Geschirr zerschlagen worden. Dem sind wir uns bewusst. Diese Diskussionen waren stark monetär motiviert, auch wenn aus unserer Sicht die gesetzliche Grundlage für die neuen Gästetaxen fehlte. Monetäre Interessen tun einer Diskussion nie gut.
Ich möchte über die Studie sprechen, die Ihr Verein im Herbst vorgestellt hat. Das Fazit war: Die Zweitwohnungsbesitzer hätten gerne verbilligte Abonnemente, mehr Transparenz in der Tourismusfinanzierung und mehr Mitsprache – wirklich überraschend war kei
Das ist so. Es ging uns vielmehr darum, von einem möglichst neutralen Standpunkt aus zu sagen, was die Themen sind und wie man sie angehen könnte.

Nur zeitweise bewohnt: Auch in Laax stehen Wohnungen oft leer – der Anreiz zur Vermietung ist zu tief. (Foto: Archiv Somedia)
Sehr neutral ist die Studie nicht, Ihr Verein hat sie ja finanziert.
Ja, die Studie wurde von uns bezahlt, dennoch hat sie aufgrund der befragten Personen eine objektive Aussagekraft. Darunter waren Einheimische und Zweitheimische aus allen drei Gemeinden. Auch von Einheimischen wird bestätigt, dass die Ergebnisse dieselben gewesen wären, ob man nun 20 oder 200 Personen befragt hätte. Die Resultate sind nicht nur für unsere Region repräsentativ, sondern für jede Tourismusregion in der Schweiz. Das merken wir etwa daran, dass uns andere IGs darauf ansprechen und daraus lernen möchten.
Die Studie fordert beispielsweise eine spezielle Kundenkarte für Zweitwohnungsbesitzer. Das bestätigt doch das alte Vorurteil: Ihren Mitgliedern geht es nur ums Geld.
Das wurde in den Medien stark verkürzt wiedergegeben. Denn es geht uns nicht einfach um einen Rabatt oder um einen Gratiskaffee, nur weil wir Zweitwohnungsbesitzer sind. Um konkret zu werden: Wir führen derzeit Gespräche mit der Gastronomie in der Region. Wir schlagen beispielsweise eine Art Stammkundenkarte vor. Diese würde nicht nur für uns Zweitwohnungsbesitzer gelten, sondern für alle Kunden der Region, auch für die Einheimischen. Genauso wie eine Supercard oder eine Cumuluskarte nicht nur für die einen gilt. Profitieren würde davon nicht zuletzt die Gastronomie selber. Allenfalls könnten so die Restaurants die Saison verlängern, wenn wir und die Einheimischen auch ausserhalb der Hochfrequenzzeiten die Restaurants häufiger besuchen. Auch wenn wir diese Diskussion anregen, sprechen wir nicht nur für uns, sondern auch für die Einheimischen – für alle Stammkunden. Dazu möchte ich etwas Grundsätzliches sagen.
Die Interessen der Einheimischen und der Zweitwohnungsbesitzer decken sich viel stärker, als sie sich unterscheiden. Es ist ein veraltetes Denken, wenn man uns gegen die Einheimischen und umgekehrt ausspielen möchte. Wir alle sind daran interessiert, dass es unserer Region gut geht. Dass wir eine gute Infrastruktur haben und eine schöne Landschaft vorfinden.
Dennoch: Die Einheimischen scheinen mir eigentlich ganz zufrieden zu sein, auch ohne die Vorschläge der Zweitheimischen.
Es stimmt: Es sind meist wir, die Ideen vorschlagen und Veränderungen anregen. Vielleicht geht es uns allen auch noch zu gut, und es gibt wenig Grund für Veränderungen. Die Dörfer sind während der Saison voll, die Restaurants und Hotels ebenso, die Handwerker haben genügend Aufträge. Aber es gibt keine Garantie, dass das für immer so bleibt.
Sprechen wir über die Ski-Abos der Weissen Arena. Einheimische profitieren von einem massiven Rabatt, die Zweitwohnungsbesitzer nicht – das ist Ihnen ein Dorn im Auge. Aber würde auch allen Zweitwohnungsbesitzern einen solchen Rabatt gewährt, müsste irgen
Fakt ist, dass wir ebenfalls Steuern zahlen – und das zu Recht. Wir profitieren ja auch von einer tollen Infrastruktur in der Region. Denken Sie nur an den öffentlichen Verkehr, der für alle Einheimischen und jene mit einer Gästekarte inklusive ist. Wir wissen jedoch nicht, wie die Steuereinnahmen der Gemeinden zusammengesetzt sind. Die Behörden sträuben sich hier gegen mehr Transparenz. Dann würde man sehen, wie gross der Anteil der verschiedenen Gruppen ist. Mit Blick auf die aktuelle politische Diskussion zum Eigenmietwert sind die Einkommenssteuern der Zweitheimischen sehr wichtig und hoch. Dass die Zweitwohnungsbesitzer ein grosser wirtschaftlicher Faktor sind, hat die Wertschöpfungsstudie des Kantons in diesem Jahr ja gezeigt. Zu den Ski-Abos möchte ich zwei Dinge sagen: Erstens stellt sich die Frage, wo eigentlich die Pisten durchführen. Führen sie über Boden der Gemeinde, sollten davon doch alle Steuerzahler profitieren, also auch die Zweitwohnungsbesitzer. Das ist unser Gedanke dahinter. Dasselbe gilt für finanzielle Garantien und Ähnliches. Ohnehin: Die Frage nach Einheimischen-Abos wird sich – zweitens – vermutlich nicht mehr lange stellen.
In EU-Ländern gilt die sogenannte Dienstleistungsrichtlinie, die solche Diskriminierungen eigentlich verbietet. Ich denke, dass diese über kurz oder lang auch in der Schweiz zur Anwendung kommen wird, womit ungleiche Preise für Einheimische und Auswärtige nicht mehr möglich sein werden. Die Frage nach verbilligten Ski-Abos wird also nicht in unserer Region entschieden.
Mir scheint, dass die Auseinandersetzung zwischen Einheimischen und Zweitheimischen auch eine Neiddiskussion ist: Die Zweitheimischen neiden den Einheimischen die Rabatte, umgekehrt gelten die Zweitheimischen als reiche Schnösel, die sowieso genug Geld ha
Es gibt sicher Menschen, die sich locker zwei oder mehr Zweitwohnungen leisten können, solche Menschen wird es auch immer geben. Das sind jedoch nicht jene, die viel Zeit in einer Wohnung verbringen. Denen liegt die Region nicht so sehr am Herzen wie jemandem, der hart für sein Feriendomizil hat arbeiten müssen. Ich meine, dass die meisten unserer Mitglieder in die zweite Kategorie gehören. Zur Neiddiskussion muss man aber auch sagen: Wer hat den Boden für die Wohnungen denn verkauft? Da hat auch jemand profitiert, und zwar die Einheimischen. Das Gleiche gilt für die Wertsteigerung der Immobilien in der Region, gerade seit Corona ist das massiv. Auch davon haben alle profitiert, die Immobilien besitzen. Es ist leicht, die Zweitwohnungsbesitzer als Feindbild zu zeichnen, hin und wieder sollte man auch vor der eigenen Türe kehren.
Unbestritten ist, dass in vielen Tourismusorten Wohnungsmangel herrscht, während Zweitwohnungen leer stehen. Das geht irgendwie nicht zusammen.
Das stimmt, und zum Teil hat der Zweitwohnungsboom einen Anteil daran. Auch ich habe keine Freude daran, wenn ich durch die Dörfer gehe und die Rollläden unten sind. Das ist kein schönes Bild.
Von allen Zweitwohnungen werden mehr als drei Viertel (78 Prozent) ausschliesslich durch die Eigentümer selbst genutzt, also nicht vermietet – das ist eine sehr hohe Zahl.
Ja, es fehlt offenbar für viele der Anreiz. Eine Studie des Kantons hat die Besitzer nach den Gründen befragt und die meisten geben an, dass ihnen die Privatsphäre wichtig ist. Das kann ich auch verstehen.
Wie halten Sie selbst es mit dem Vermieten?
Wir vermieten die Wohnung nicht an Dritte, weil wir sie selbst so oft verwenden. Dazu gehört aber auch die Nutzung durch unsere Kinder und Freunde und Bekannte.
Wie könnte man das Problem des Wohnungsmangels denn lösen?
In städtischen Zentren gibt es eine lange Tradition von Wohnbaugenossenschaften, die tiefe Mietzinsen anbieten können. Das ist ein Modell, das auch in Bergregionen Chancen haben könnte, und mit dem die Gemeinden einen gewissen Gestaltungsraum haben. Ich würde das voll unterstützen. Jedoch darf die Finanzierung dafür nicht einseitig durch Abgaben der Zweitwohnungsbesitzer generiert werden. Denn wie gesagt: Vom Zweitwohnungsbau haben alle profitiert.
Eine weitere Forderung der IG FLF gilt der Flims Laax Falera Management AG, also der Tourismusorganisation, in dessen Verwaltungsrat Sie einen Sitz fordern. Was erhoffen Sie sich davon?
Es geht uns darum, mitreden zu können – aber nicht nur, weil wir das wollen, sondern weil wir glauben, dass wir tatsächlich etwas beitragen können. Im Verwaltungsrat sind aktuell die Gemeinden, die Weisse Arena Gruppe und die Wirtschaftsverbände vertreten. Was fehlt, ist die Kundensicht. Und wer könnte diese besser einbringen als die Zweitwohnungsbesitzer, die ja Stammkunden sind? Wenn wir die Diskussionen von Anfang an mitprägen könnten, würden die Entschlüsse dieses Gremiums besser und umgekehrt ebenso das Verständnis der Kunden für gewisse Beschlüsse und Vorgehensweisen.
Die Forderung ist nicht neu und wäre leicht umsetzbar – weshalb hat sich in den letzten Jahren denn nichts getan?
Es ist eine etwas träge Angelegenheit. Die FLFM AG ist derzeit in einem Strategieprozess und ich bin sicher, dass dieses Anliegen auf der Agenda steht. Vielleicht haben gewisse involvierte Personen auch Vorbehalte, weil sie denken, wir hätten dann zu viel Mitspracherecht. Aber in einem Gremium von sieben bis acht Personen hat eine Stimme ja nur wenig Gewicht. Umso wichtiger ist es, die Diskussion vor einem allfälligen Entscheid mitzuprägen.
Drei Jahre nach Ihrem Amtsantritt: Wie gross sind die Vorbehalte der Einheimischen den Anliegen der Zweitheimischen gegenüber noch?
Da muss man unterscheiden. Wenn wir an Anlässen mit Einheimischen sprechen, etwa beim Eisstockschiessen in Falera, das wir mitinitiiert haben, dann sind kaum Vorbehalte zu spüren. Dann ist man einfach zusammen und plaudert. Es macht keinen Unterschied, wo man seinen Erstwohnsitz hat. Bei den Behörden und Organisationen scheint es mir ein wenig anders zu sein. Da erschrecke ich manchmal darüber, wie stark gewisse Dinge noch im Gedächtnis sind. Wir mussten auch von unserer Seite einige alte Zöpfe abschneiden. Es wäre schön, wenn das auch die Einheimischen etwas stärker täten und ihrerseits aktiv auf uns zu kommen.
Und was gibt Ihnen Hoffnung?
In meinen Gesprächen mit Einheimischen, Vereinen und Unternehmern, aber auch mit den Gemeindepräsidenten spüre ich durchaus den Willen, die Zusammenarbeit in den nächsten Monaten und Jahren zu verbessern. Denn wie bereits erwähnt: Eigentlich haben wir alle dasselbe Ziel, nämlich, dass es dieser wunderbaren Region gut geht.