130-Jährige hofft auf Wiedergeburt

Ankunft des Eröffnungszugs der ersten Bündner Meterspurbahn am 29. September 1889 im Etappenort Klosters. Vorne Lok 1, die nach wechselvollen Jahren um die Wiederinbetriebnahme bangt. (Foto: Archiv RhB)

Spendenaktion für «Rätia 1»
Unsere Rhätische Bahn ist nicht irgendeine Bahn. Wegen ihres facettenreichen Schienennetzes in grandioser Landschaft war sie schon längst vor der Verleihung des Unesco-Welterbelabels global bekannt. Unter allen Superlativen findet sich sogar die aller­erste Lok des Bündner Meterspurnetzes. Ebendiese ist Objekt einer gross angelegten Spendenkampagne. Ziel ist, diese Urzelle unserer Bündner Eisenbahn soll wieder dampfen und Züge ziehen.
Text und Bilder 
Tibert Keller

Die wechselhafte Geschichte der ersten Bündner Meterspurlok ist mit vielfäl­tigen Aspekten technischer, aber auch emotionaler Art verknüpft. Blenden wir zurück. Die privat initiierte Landquart-Davos-Bahn (LD) nahm den Betrieb in zwei Etappen 1889 und 1890 auf. Klug überlegt, trotz grosser Höhenunterschiede ohne Zahnstangenabschnitte. Für die beachtlichen Steigungen fertigte die Schweizerische Lokomotivfabrik Winterthur (SLM) fünf Lokomotiven. Die Bauart mit drei Trieb- und einer Laufachse – eisenbahntechnische Bezeichnung G 3/4 – gründet auf eine geglückte SLM-Konstruktion für die Sardische Schmalspurbahn. Dort bestand die Flotte aus 47 zwischen 1888 und 1894 erbauten Exemplaren. Selbst die RhB als Nachfolgeunternehmen der LD orderte bis 1908 diesen Typ in vier Tranchen und in laufend stärkerer Ausführung. Jene acht mit Baujahr vor der Jahrhundertwende erhielten, wie damals üblich, Schilder mit geografischen Namen. Selbst nach der vollständigen Elektrifikation 1922 ging nur eine der total 16 Lokomotiven dieses Typs in den Schrott. Die Nummern 11, 13 und 14 verblieben einsatzfähig bei der RhB, die restlichen fanden Abnehmer rund um den Erdball, wo sie noch Jahrzehnte Dienst taten.

 

Früh gehegtes Museumsstück

Zu unserer Nummer 1 – sie hat zwischenzeitlich die beidseitigen Original-Namensschilder «RHÆTIA» eingebüsst – stand im RhB Geschäftsbericht 1928 folgender Passus: «Diese nicht mehr betriebsfähige Lokomotive soll zur Erinnerung an die Anfänge des bündnerischen Eisenbahnwesens in der Kesselschmiede der Hauptwerkstätte in Landquart aufgestellt bleiben.» Rund 20 Jahre sei sie dann im Freien rumgestanden.

Anfang der 40er-Jahre reifte der Gedanke, in Zürich ein schweizerisches Eisenbahnmuseum zu realisieren. Unter den dafür gesammelten Exponaten befand sich auch die Nr. 1 der RhB. Vor dem 1947 erfolgten Abtransport zum «Zwischenlager» – ein Zürcher Tramdepot – verpasste ihr die Hautwerkstätte Landquart einen Neuanstrich und neue Namenstafeln in geänderter Schreibweise «Rhätia». Das geplante Museum entstand erst 1959 in Form des Verkehrshauses in Luzern. Dort fanden lange nicht alle zur Ausstellung aufbewahrten Exponate Platz. Darum blieb die Nummer 1 zusammen mit anderen historisch wertvollen Fahrzeugen viele Jahre im für die Öffentlichkeit unzugänglichen SBB-Depot Vallorbe an der Grenze zu Frankreich geschützt eingestellt.

 

Seit 1922 ist die RhB vollständig elektrifiziert und damit die Lok 1 überflüssig. Doch bleibt sie vorerst für Museumszwecke in Landquart eingestellt. (Foto: Archiv RhB)

Exodus aller kleinen Dampfloks

Exodus aller kleinen Dampfloks
Ebenfalls in der Westschweiz entstand 1968 die erste Schweizer Museumsbahn. Eisenbahnfreunde reaktivierten über dem Genfersee das stillgelegte Meterspurgleis zwischen Blonay und Chamby. Die neuen Betreiber sammelten im In- und Ausland geeignetes Rollmaterial aller Art. Darunter befand sich auch die «Rhätia», die 1970 den Weg zum neuen Einsatzort fand. In Freiwilligenarbeit ist es 1972 gelungen, die Lok nach über 40 Jahren Passivität wieder in Betrieb zu setzten. Von Details abgesehen, befand sich die Lok weiterhin im Urzustand.
Von den drei anderen bei der RhB verbliebenen Exemplaren dieses Typs ging die Nr. 13 1951 in den Schrott, Nr. 14 wechselte 1972 zu den Dampffreunden Herisau für Fahrten auf der Appenzellerbahn, später auch auf der Brüniglinie. Mangels Einsatzmöglichkeiten wechselte diese Lok kürzlich in den Jura. 1977 verliess auch die letzte G 3/4 Nr. 11 die RhB in Richtung Berner Oberland, wo sie ein Eisenbahnlub für Sonderzüge im Bereich Interlaken eingesetzt hatte.

1989 feierte die RhB das 100-Jahr-Jubiläum der ersten Meterspurstrecke Bündens. Und da sollte die erste Lok, die faktisch immer noch der RhB gehörte, wieder auf dem heimatlichen Netz an die Ursprünge erinnern. Dank einer Vereinbarung mit der Museumsbahn gelang im Oktober 1988 die Rückführung.

Nach anschliessender Revision und Anpassungen begann für die «Rhätia» eine neue Ära im Bündnerland. Denn auch nach dem grossen Jubiläum gab es immer wieder Anlässe, bei der die Lok zum Zug kam. Sogar auf Strecken, wo sie nie zuvor im Einsatz stand. So fuhr sie auf Teilstrecken aller drei ehemaligen elektrischen Bündner Privatbahnen. Das sind die Stadtstrecke der Arosabahn und auf Strecken auf dem Berninapass und im Misox.

Im 2014 endeten die Fahrten, weil der technische Zustand eine umfassende Revision erforderte. Eine Schwach­stelle bei Dampfloks sind beispielsweise die Siederohre im Kessel, wo das mitgeführte Wasser zu Dampf erhitzt wird und damit die Antriebsenergie abgibt.

 

Lok 616 ist seit einem Jahr Botschafterin der Spendenaktion zugunsten der ersten RhB-Lokomotive.

Da es nicht Aufgabe der RhB ist, bedeutende Summen in Fahrzeuge zu investieren, die nicht für den ordentlichen Betrieb nötig sind, haben sich vor vielen Jahren Vereinigungen gebildet, die in diese Lücke treten. Das ist einerseits der Verein Dampffreunde der Rhätischen Bahn, der sich finanziell und ideell für den Erhalt des Dampfbetriebs engagiert und andererseits der Club 1889, der historisch bedeutende Fahrzeuge mit Spenden und in Freiwilligenarbeit betriebsfähig und weitgehend im Originalzustand aufarbeitet. Der Dachverband Historic RhB ist Verhandlungspartner gegenüber der RhB.

Ohne Kohle kein Dampf
Als feststand, dass für den Weiterbetrieb der «Rhätia» bedeutende Mittel nötig sind, startete der Dampfverein mit einer Sammelaktion. Zuerst wurde der Aufwand auf 300 000 Franken veranschlagt. Bei genauerer Inspektion zeigte sich, dass die Summe der aus­zuführenden Arbeiten für eine wei­-tere 30-jährige Betriebszeit einen Betrag von 938 000 Franken erreicht. Die RhB steht dem Projekt wohlwollend gegenüber und unterstützt im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Sammelak­tion. ­Dazu zählt eine Lokomotive, die seit einem Jahr mit entsprechender Botschaft Planzüge durch den Kanton fährt. Das Erscheinungsbild prägt eine farbige Typenzeichnung der Lok 1 ­sowie einen Balken in Form von 19 hintereinander aufgereihten stilisierten Kohlebriketts, die jeweils für 50 000 Franken stehen und, wenn schwarz eingefärbt, den aktuellen Spendenstand darstellen. Erst wenn 80 Prozent der Summe erreicht sind, beginnen in der RhB-Werkstätte Landquart die ­Restaurierungsarbeiten. Diese würden sich über mehrere Jahre erstrecken. Dabei soll die «Rhätia» in der Originalerscheinung als «LD 1 RHÆTIA» wieder zum Zug kommen. Die grünen Partien wie Führerhaus und Wasserkasten wechseln wieder zum originalen Schwarz.

Prominente Unterstützung
Zwar verfügt die RhB bereits über eine betriebsfähige Lok der gleichen Gattung. Es ist die bereits erwähnte Nr. 11 mit dem Namen «Heidi», was an den Einsatz bei Dreharbeiten zum gleichnamigen Film Anfang der 50er-Jahre erinnert. Der Club 1889 holte die Lok vom Berner Oberland zurück, revidierte sie und baute sie auf Ölfeuerung um. Damit geniesst das «Heidi» den Vorzug, schnell einsatzfähig zu sein, «sauberer» zu fahren und keine Böschungsbrände zu verursachen. Natürlich riecht die «Diesel-Dampflok» ganz anderes als ein Original, das mit Kohle gefeuert wird.

Trotzdem sprechen Argumente für die Wiederinbetriebnahme der Nr. 1. Der Club 1889 hat zwei, bald drei passende Wagen der ersten Generation restauriert. Damit resultiert ein ganzer und damit stilechter Zug, wie er im Jahr 1889 ausgesehen haben könnte. Wo findet sich in der Schweiz oder auch in den Nachbarländern eine vergleichbare komplette betriebsfähige Eisenbahn-Urzelle? Diesen Wert sehen auch die Denkmalpflege des Kantons Graubünden und der Regionalverband Prättigau/Davos, indem sie das Projekt mit bedeutenden Beiträgen unterstützen. Zusammen mit vielen Einzelspenden sind bis Mitte Oktober knapp 600 000 Franken gesammelt worden.

Ausserdem könnte sich ein ideales Einsatzfeld eröffnen. Es laufen Planungen, das weltweit bekannte Vorzeigeobjekt Landwasserviadukt effektvoll als Wahrzeichen zu inszenieren. In diesem Bereich bilden die moderaten Streckenauslastung und Maximalsteigung von 25 Promille gute Voraussetzungen, den Originalzug mit der «RHÆTIA» über das bekannteste RhB-Bauwerk dampfen zu lassen.

 

Einmalige, von Lok 1 angeführte Dampflok-Parade zweier Spurweiten in Untervaz vom 29. Oktober 2006.