Der Theater-, Filmregisseur und Fotograf Mark Blezinger projiziert in seiner Installation «Luce del Paradiso» Bilder von Giovanni Segantini an die Barockkirche Son Martegn in Savognin. (Foto: Mark Blezinger)
Angefangen hat alles mit einem Film und einem Jubiläum. Der Pariser Theater-, Filmregisseur und Fotograf Mark Blezinger drehte 2005 im Engadin einen Film zum Künstler und Mitbegründer des Oberengadiner Kulturarchivs, Giuliano Pedretti. Fasziniert von der Engadiner Bergwelt, begann Marc Blezinger Landschaften, Menschen, Gegenstände und Dokumente festzuhalten und daraus neue, erzählerische Bildkompositionen zu erschaffen.
2012 beschlossen Giuliano Pedretti und die Mitbegründerin und heutige Präsidentin des Kulturarchivs, Dora Lardelli, mit Mark Blezinger den Archivfundus für ihre Suche nach einer neuen Darstellung der Alpenmythologien zu nutzen. Sie entwarfen die Projektidee «AlpenMythenSehen», deren weiterer Verlauf Giuliano Pedretti wegen seines unerwarteten Todes nicht mehr erleben konnte.
Zum 25-Jahr-Jubiläum des Kulturarchivs konkretisierten Mark Blezinger und Dora Lardelli 2013 die multimediale Installation «Wunderkammer Engadin – AlpenMythenSehen». In den Abendstunden zeigte jeweils eine animierte Grossprojektion Engadiner Herbarienmotive, die in einem 23-minütigen Film langsam die Fassade der Chesa Planta einwuchsen und die künstlerisch wertvollen Pflanzenmotive aus vergangenen Zeiten zu neuem Leben erweckten. Die Veranstaltung wurde im selben Jahr mit dem schweizerischen Kulturgüterschutz-Förderpreis ausgezeichnet.
Darauf folgten zahlreiche weitere multimediale Inszenierungen in historisch wichtigen Gebäuden. So zum Beispiel im Bergell in der Rimesssa Castelmur in Coltura und im Pretorio von Vicosoprano zum Thema «Hexen». Oder im Palazzo Salis in Soglio die Soundinstallation «Abendmahl unserer Ahnen». In der Wintersaison 2014/2015 liess Blezinger in der multimedialen Inszenierung «Lichtrausch Belle Époque» Besucher in die alpine Belle Époque eintauchen. Diese und etliche weitere Inszenierungen sind stets der Örtlichkeit angepasst und darauf ausgelegt, die lokale Kulturgeschichte mit Mythen, Gebäuden, Menschen und Objekten erlebbar zu machen. So auch in Savognin auf der Barockkirche Son Martegn.
Der Zauberwald auf der Lenzerheide versetzt alljährlich grosse und kleine Besucher in Märchenwelten. (Foto: zVg)
Ende 2015 und im Rahmen der Vorbereitungen des Segantini-Fests gelangte Judith Burri, Projektleiterin beim Verein Parc Ela, an Dora Lardelli mit der Frage nach Dokumenten zu Giovanni Segantini. Zu gleicher Zeit lief am Paracelsus-Gebäude in St. Moritz eine Lichtinstallation von Mark Blezinger, die Judith Burri interessierte. «Judith Burri fand das sehr spannend«, erklärte Dora Lardelli. Die Idee, ein solches Lichtspiel auf der Kirche Son Martegn zu realisieren, setzte sich fest. «Luce del Paradiso», so benannt in Anlehnung an das Barockgemälde im Innern der Kirche, sollte umgesetzt werden. Wurde es auch. Auf zwei Fassaden der Kirche führte das Spiel zehn Monate später entlang der Bilderwelt Segantinis durch die vier Jahreszeiten. Dies verwoben mit 28 Originalbildern des Malers, Naturfotografien aus dem Parc Ela und Herbarien aus dem Oberengadiner Kulturarchiv. Sie hätten viel diskutiert, wie man die Originalbilder eines Künstlers wie Segantini mit der Natur verbinden und ihnen Leben einhauchen wolle, erklärte Dora Lardelli. «Da gehören viel Respekt und Feingefühl dazu.» So sei zum Beispiel im Bild «Ave Maria» nichts animiert worden, ausser ganz leicht das Wasser. Hingegen gab Blezinger den Schafen in der Zeichnung «Schlafender Hirten» anhand von Fotografien der Schafe auf der Alp Flix Bewegung. Premiere feierte die musikalisch unterlegte Lichtinstallation anlässlich des Segantini-Fests im September. Vom 23. Dezember 2016 bis zum 8. Januar 2017 wird das 26 Minuten dauernde Lichtspiel nochmals an der Kirchenfassade leuchten.
Eine spektakuläre Beleuchtung setzt die RhB am Kreisviadukt in Brusio. (Foto: Giorgio Murbach)
«Ein verlassenes Grand-Hotel, eine baufällige Trinkhalle, ein Park, alte Kellergewölbe – all dies finden wir rund um die alten Bäder in Nairs vor, gelegen in einer der engsten Stellen im Tal und direkt am Inn. Diese Situation bietet ein Monument von ganz besonderer Atmosphäre zwischen Innen- und Aussenräumen, zwischen vergangenen Zeiten und der Gegenwart, zwischen Wirklichkeit und Imagination.» So beschrieb das «Ensemble ö» im Jahr 2011 den Ort eines ihrer Konzerte innerhalb der Reihe «Moment Monument». Es fand in der Büvetta statt. Dieser Trinkhalle aus dem Jahr 1876, die zum Ensemble des historischen Kurhotels Palace und zum Zentrum für Gegenwartskunst Nairs gehört und in Tarasp direkt am Inn steht. Aus ihr treten die drei Quellen Bonifacius, Lucius und Emerita. Noch im 20. Jahrhundert traf sich hier die europäische Hautevolée zu heilsamen Trinkkuren. Gebaut wurde die Trinkhalle zwischen 1875 und 1876 vom Architekten Bernhard Simon. Er realisierte eine lang gestreckte Wandelhalle mit bergseitig angeordneten Boutiquen, grossen Bogenfenstern zum Inn hin und als Krönung ein mit Marmor ausgestatteter Altarraum mit Kuppeldach für die drei Quellen. Heute droht der Berg hinter der Büvetta zu rutschen und Wasser drängt durch das Mauerwerk. Die Trinkhalle ist von zunehmendem Zerfall bedroht.
Zurück zur Konzertreihe des «Ensemble ö»: Mit im Boot war damals der Architekt Men Duri Arquint. Er suchte architektonisch charakteristische Spielorte, entwarf und realisierte das Lichtkonzept zu den Konzerten und zur Büvetta. «Mir lag daran, sie wieder zum Leben zu erwecken, zu sagen, die Büvetta gibt es noch. Ist doch das Licht das Sinnbild für Leben», erklärte Men Duri Arquint. Mit Licht also wollte er die Aufmerksamkeit auf das historische Gebäude lenken und mit Licht auf die Architektur der Büvetta reagieren. Seine damalige Lichtinstallation blieb in den Köpfen haften.
Kurz nach dem Konzert im März 2012 wurde in Nairs der Verein Pro Büvetta gegründet. Eine breite Trägerschaft aus Politik, Wirtschaft und Kultur setzt sich seit diesem Zeitpunkt aktiv für die Erhaltung, den Schutz und eine neue Nutzung dieses einzigartigen Baus ein. Treibende Kraft dahinter war der Architekt Christoph Rösch, der überzeugt war: «Wir müssen etwas machen, um die Büvetta zu retten.» Er beauftragte Men Duri Arquint mit einer erneuten Lichtintervention, diesmal nicht auf die Musik, sondern ausschliesslich auf die Aussenwahrnehmung fokussiert. Mit einigen Dutzend Neonröhren, verkleidet mit blaugrüner Filterfolie – ähnlich der Installation bei den Konzerten – setzte Arquint diese Idee um. «Mit dem Licht erhält das Gebäude ein Eigenleben. Es erweckt den Eindruck, als wäre jemand da. Es soll jede Nacht brennen, bis die Büvetta gerettet wird. Es ist ein hoffnungsvolles Licht, ein Mahnmal», erklärte Arquint, der inzwischen als Vorstandsmitglied des Vereins Pro Büvetta mit dafür sorgt, dass die finanziellen Mittel zur Restauration des Architekturjuwels generiert werden können.