Eine Region auf dem Sprung

Neue Ideen beflügeln kantonsübergreifend die Touristiker
Es tut sich was am Oberalppass. Das Gebiet von Andermatt über Tujetsch bis Disentis befindet sich dank verschiedener Grossprojekte in der Metamorphose. Investitionen vor allem im Tourismusbereich lassen eine vielversprechende Ausgangslage für die Zukunft erhoffen.
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Jano Felice Pajarola

Neue Anlagen, neue Pisten, neue Beschneiungs­infrastrukturen. So viel wie im Geschäftsjahr 2016/17 wurde noch nie gebaut in der Geschichte der Skiarena Andermatt Sedrun, das hält auch deren Verwaltungsratsdelegierter Franz-Xaver Simmen im jüngsten Jahresbericht der Andermatt-Sedrun Sport AG fest. «Es war die grösste Baustelle im Seilbahnenbereich der Schweiz seit Jahren», sekundiert Gesamtprojektleiter Peter Furger. Man habe ein Arbeitsprogramm bewältigt, das die Beteiligten «an die Grenze der Belastbarkeit» geführt habe. Auf die Wintersaison 2018/19 hin soll nun auch die Gondelbahn Oberalppass–Schneehüenerstock eröffnet werden – damit wird die Skigebietsverbindung zwischen Andermatt und Sedrun gut drei Jahre nach ihrem Baustart endgültig und beidseitig realisiert sein. Der ägyptische Investor Samih Sawiris, Verwaltungsratspräsident der Skiarena, erreicht sein Ziel: dass jeder Gast in der Region «x-mal mehr Pistenfläche zur Verfügung hat als an allen anderen Wintersportorten», so Sawiris diesen Frühling gegenüber blick.ch. «Das ist viel wert. Nur so überzeugen wir die Schweizer, nach Andermatt zu kommen.» Wenn 2019 auch noch Disentis integriert werde, «dann haben wir am meisten Pisten bei vergleichsweise wenigen Zimmern».

Disentis: Dort ist es der zweite bedeutende Investor im Oberalpgebiet, der den Tourismus vorwärts stösst, Marcus Weber. Der in Singapur ansässige Schweizer «Multiunternehmer», wie er sich selbst bezeichnet, verfügt über ein Firmenportfolio, das von der Uhrenmanufaktur über die Immobilienverwaltung bis zur Flugzeugvermietung reicht. Und seit 2014 ist er auch noch Mehrheitsaktionär der Bergbahnen Disentis AG. Als Verwaltungsratspräsident hat er einen von den Gemeinden Disentis und Tujetsch mitgetragenen Investitionsschub bei den Bahnen initiiert. Einerseits mit dem Bau des «Catrina Resorts» unweit der Talstation in Acletta: Rund 750 warme Betten in Ferienwohnungen mit Hotelbewirtschaftung und in einem Hostel werden dort bald auf Gäste warten, die ersten davon schon im Dezember dieses Jahres; ab der Wintersaison 2019/20 wird dann die komplette Anlage zur Verfügung stehen. Die Bergbahnen rechnen dank des Projekts mit einem zusätzlichen Cashflow von bis zu einer Million Franken. Andererseits ist die Erstellung von Beschneiungsanlagen geplant – und nicht zuletzt wird bis spätestens kommenden Sommer die neue Pendelbahn Salins–Cungieri–Cuolm da Vi fertig gebaut, die Verbindung der beiden Skigebiete Disentis und Andermatt-Sedrun. Sie wird die Gäste, ganz wie heute vom Publikum gewünscht, direkt ins hochalpine Gebiet auf 2500 Meter über Meer bringen, wovon man sich einen erheblichen touristischen Gewinn für die Region erhofft. Insgesamt belaufen sich die von den Disentiser Bahnen ausgelösten Investitionen auf etwa 90 Millionen Franken.

Samih Sawiris

Einer, der Nägel mit Köpfen macht: Investor Samih Sawiris. (Foto: Olivia Item)

Bald wieder über 1000 Hotelbetten?

Mit Sawiris und Weber verfügt die Oberalpregion über zwei Player, die Nägel mit Köpfen machen. Andere Nägel wären bereit, eingeschlagen zu werden, aber ob es dazu kommen wird, ist momentan offen. In Disentis hofft man vor allem darauf, dass aus dem maroden, seit 2001 geschlossenen Apart-
hotel «Acla da Fontauna» endlich neues Beherbergungsleben spriessen kann. Die Immo Invest Partner AG aus Glattbrugg (Zürich) will auf dem Areal für rund 100 Millionen Franken ein Hotel mit über 200 Zimmern und Häuser mit 91 teils bewirtschafteten, teils verkäuflichen Wohnungen realisieren. Der Anfang Jahr präsentierte Terminplan rechnet mit einem Baustart im Frühjahr 2019. Allerdings muss zuerst das alte, mit Asbest und PCB belastete «Acla da Fontauna» rückgebaut werden. Sollten die beiden Unterkunfts-Grossprojekte in Disentis Realität werden, würden bettenmässig die einstigen Spitzenzeiten zurückkehren. Mehr als 1100 Hotelbetten hatte es im Klosterdorf einst gegeben, doch dann schlossen wichtige Betriebe wie das «Acla», der «Disentiserhof», das «Cucagna», das «Bellavista» und andere. In jüngster Zeit verfügte Disentis gerade noch über 350 Hotelbetten. Das «Catrina Resort» und das neue «Acla da Fontauna» würden die Zahl wieder auf rund 1450 hochschnellen lassen – das wäre «ein Segen», so der Flimser Tourismusexperte Robert Wildhaber Anfang Jahr im «Bündner Tagblatt». «Der Zuwachs würde unserer Gemeinde wie auch unserer ganzen Region einiges an dringend benötigten Arbeitsplätzen bringen», sekundiert Gemeindepräsident Robert Cajacob. Um ihr Scherflein an die Investitionen in warme Betten beizutragen, plant Disentis unter anderem eine aufwendige Sanierung und Erweiterung des Sport- und Kulturzentrums in Acletta.

Cajacobs Amtskollege in Tujetsch, Beat Roeschlin, macht keinen Hehl daraus, auf welche Karte die Oberalpregion für die Zukunft setzen muss: «Der Tourismus ist der einzige Weg. Aber wir brauchen die Hilfe von aussen». Es gelte deshalb, die Chancen zu packen, die sich dank der Investoren Sawiris und Weber ergäben. Denn gerade in Tujetsch sei nach dem Ende der Neat-Baustelle «die Schonzeit vorbei». 20 Jahre lang prägte sie Sedrun mit, der Zwischenangriff sorgte für Wertschöpfung in Mil­lio­nenhöhe, die Gemeinde profitierte von hohen zusätzlichen Einnahmen. Auch eine 2017 abgeschlossene Langzeitstudie der Universität St. Gallen kam zu einem sehr positiven Schluss. Sie weist aber trotz allem auch darauf hin, die Gemeinde stehe nun vor der Herausforderung, die guten Effekte der Neat zu nutzen und in eine nachhaltige Entwicklung zu investieren. Die Studie zählt die Skigebietsverbindungen und das in Dieni geplante Resort ebenfalls zu dieser Entwicklung, mahnt aber: «Es braucht gemeinsame Anstrengungen weit über die Bauzeit hinaus.»

So soll gemäss Visualisierung der Architekten die neue «Acla da Fontauna»-­Überbauung in Disentis aussehen. (Pressebild)

Den Gast interessieren Grenzen nicht

Gemeinsame Anstrengungen: Dass im Fremdenverkehr der oberen Surselva die Tourismusachse Disentis-Sedrun-Oberalp-Andermatt ein zentraler Bestandteil sein muss, hält schon der Richtplan Graubünden fest. Und der ehemalige Präsident von Sedrun Disentis Tourismus, Curdin Brugger, betont in seinem letzten Jahresbericht 2016/17: «Aus Sicht des Gastes sind wir schon heute eine Destination, den Gast interessieren die Gemeinde- und Kantonsgrenzen nicht.» Zumal man im Marketing in der Zusammenarbeit mit Andermatt weit mehr erreichen könne als allein. Die beiden Bergbahnen haben nun nach Jahren der regionalen Diskussionen und Anläufe einen konkreten Schritt in diese Richtung unternommen: Sie haben eine Marketinggesellschaft gegründet, die ab sofort die beiden Gebiete gemeinsam im In- und Ausland vermarktet. Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie soll zudem geklärt werden, wie Milez in der Skiarena Andermatt-Sedrun und die neue Talstation der Verbindungsbahn nach Disentis für Skifahrer direkt verbunden werden können. Die AndermattSedrun-Disentis Marketing AG, so der Name der Gesellschaft, sei offen für neue Partner, sei es aus dem touristischen Umfeld, aus den Gemeinden der Region oder den Unternehmungen.

Eine Region auf dem Sprung – so zeigt sich das Gebiet am Oberalppass momentan. Doch dabei darf nicht vergessen gehen, dass in der jüngeren Vergangenheit auch Projekte gescheitert oder vertagt worden sind. Ein Gemeindezusammenschluss von Disentis, Medel und Tujetsch ist aus politischen Gründen in nächster Zeit kaum wahrscheinlich. Ob das in Disentis geplante Radon-Kurhotel beim «Disentiserhof» Wirklichkeit wird, ist offen. Der Initiative für einen Strassentunnel zwischen Surselva und oberem Reusstal werden wenig Chancen eingeräumt, seit eine Studie geschätzte Kosten von 1,8 Milliarden Franken für eine Röhre von Sedrun nach Amsteg ergeben hat. Die Kosten seien weit höher als der Nutzen, so das Fazit der Untersuchung. Mit dem Parc Adula ist 2016 eine weitere Zukunftshoffnung für die Region am Nein des Volks gescheitert. Auch ein Windparkprojekt in der Val Nalps in Tujetsch wird nicht weiterverfolgt, das Windaufkommen reicht nicht aus. Und was aus den Plänen für einen Goldabbau in der Val Medel wird, steht schon seit längerer Zeit in den Sternen.

Direkt ins hochalpine Gebiet: So ist die Bergstation der neuen Verbindungsbahn Sedrun-Cuolm da Vi geplant. (Pressebild)

Auch kleinere Objekte haben Erfolg

Immerhin: Auch das Progetto San Gottardo setzt wichtige Akzente im Raum Disentis-Tujetsch-Andermatt. Und was auf der Bündner Seite des Passes neben den Investoren-Grossprojekten gelingt, sind zwar nicht ganz so investitionsintensive, aber nichtsdestotrotz wertvolle Vorhaben im kleineren Massstab. Zum Beispiel die neue Tujetscher Mehrzweckhalle Dulezi, die auch die Technikzentrale des gegenwärtig grössten Erdsondenfelds in Graubünden mit einer Leistung von 1,2 Megawatt beherbergt. Über ein sogenanntes Anergienetz gibt die Anlage der gemeindeeigenen Energia Alpina SA ihre Wärme an die angeschlossenen Gebäude ab. Oder dann das «Medelina» in Curaglia, wo aus dem einstigen Altersheim ein Hotel mit Tourismuszentrum und Projektwerkstatt entstanden ist. Oder das Center Sursilvan d’Agricultura in Disentis, das den Dialog zwischen der Berglandwirtschaft, einem naturnahen Tourismus und dem ­lokalen Gewerbe fördert und schon verschiedene innovative Projekte auf den Weg gebracht hat. Auch die rührigen Köpfe hinter solchen Initiativen sorgen dafür, dass die Region am Oberalppass momentan auf dem Sprung ist – in eine hoffentlich prosperierende Zukunft.

 

Rico Tuor ist Geschäftsführer und einer der Macher hinter dem «Medelina» in Curaglia. (Foto: Jano Felice Pajarola)

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Autor

Jano Felice Pajarola ist Zeitungsredaktor für Surselva und Mittelbünden bei Somedia. Er lebt in Cazis.
janofelice.pajarola@somedia.ch