Mit «Chantai rumantsch!» schliesst die Bündner Musikwissenschaftlerin Laura Decurtins eine grosse Forschungslücke. Denn bis «heute fehlt eine umfassende musikwissenschaftliche Untersuchung zur (Vokal-)Musik Romanischbündens und ebenso fehlt eine Betrachtung des für Romanischbünden grundlegenden Zusammenspiels von Musik und kultureller Identität». Decurtins’ mit Lob angenommene Dissertation ist nun im Chronos-Verlag erschienen und behebt auf eine gut lesbare Weise dieses lange vorhandene Manko. Wie das innige Verhältnis zwischen den Romanen und der gesungen Musik entstanden ist und wie es zugleich gegen innen identitätsbildend wie gegen aussen imagebildend wirkt, stellt Decurtins kenntnisreich dar. Sie schlägt dabei den Bogen von den ältesten überlieferten Werken über das neu erwachte Interesse am alten Volkslied zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu den Chantauturs und Singer-Songwriterinnen jüngster Tage.
So zeichnet Decurtins etwa nach, wie aus der wenig beachteten und eher abgewerteten Sprache, als die das Romanisch noch im 19. Jahrhundert galt, allmählich ein Sinnbild für das Echte wurde, als ob sie die Ursprünglichkeit des Bergvolks in seiner reinsten Form beinhalte. Dass dieses Interesse erst von aussen kommen musste, um so etwas wie ein Identitätsangebot zu werden, ist ein vielsagender Umstand. Vor dem Hintergrund der Bedrohung der Sprache durch die allmähliche Verbreitung des Deutschen steht auch der Titel des Buchs: «Chantai rumantsch!» ist der als Aufforderung gedachte Ausruf von Rudolf O. Tönjachen, der schon 1936 und im Angesicht der geopolitischen Lage zum Zusammenstehen der Romanen aufrief – und dies insbesondere in der und durch die Kraft der Musik.