Die rund 10 000 Porträts auf Acetat-Trägermaterial sind nur ein kleiner Teil des Bestandes Foto Guler (Thusis).
Seit der Erfindung des Rollfilms in den 1930er-Jahren, sozusagen der Handy-Kamera von damals, wurde günstig und in grossen Mengen geknipst. Einzelne Fotobestände umfassen daher mehrere Hunderttausend Bilder. Um diese online zugänglich und schnell auffindbar zu machen, müssen sie digitalisiert und beschrieben werden – beides sehr zeitaufwendige Aufgaben. In den letzten Jahren hat sich die Beschreibung von Bildmaterial jedoch dank KI-Werkzeugen deutlich verbessert. Die FSGR nutzt eigene Algorithmen, die in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich, der Universität Zürich und der Firma Locomot entwickelt und trainiert wurden, um Bildmotiven automatisiert Schlüsselwörter zuzuordnen, Beschreibungen zu erstellen und die einzelnen Wörter zu kategorisieren (z. B. Name, Beruf, Strasse usw.). Mithilfe von Natural Language Processing (NLP)-Anwendungen können nun «faktenbasierte» Bildlegenden aus Zeitungsartikeln, Bautenverzeichnissen und Dorfchroniken erstellt oder Bildgeschichten in Form von Audioguides erzählt werden.
Der unscheinbare Nachlass des Engadiner Fotografen Rolf Canal beinhaltet über 150 000 Blicke in die Vergangenheit.
Die FSGR testet in Zusammenarbeit mit Locomot nun auch die Automatisierung der Digitalisierung von Fotografien – dies als wohl erste Gedächtnisinstitution der Schweiz. Glasplattennegative, Acetat-Dias und Barit-Abzüge sollen so von Robotern, messenden, tastenden und beobachtenden Sensoren sowie entsprechend trainierten Algorithmen selbstständig zur Digitalisierungsstation geführt, analysiert, digitalisiert, in neue Fotohüllen gesteckt und mit einer Signatur angeschrieben werden. Aktuell justieren Pascal Werner und Johannes Meyer, die Gründer der FSGR-Spin off Locomot, die Greif- und Saugsysteme der Roboter, welche die fragilen Werke auf Förderbändern unter die Reprokameras und zurück in ihre Hüllen führen sollen. Gleichzeitig werden mit 3-D-Druckern passgenaue Stapel- und Transportbehältnisse hergestellt, die es den Robotern ermöglichen, die Bilder behutsam zu transportieren, zu packen und präzise wieder abzulegen.
Arbeitsplätze in Gefahr?
Die Automatisierung von Arbeitsprozessen erhöht einerseits die Effizienz und Genauigkeit und beschleunigt damit die digitale Transformation von Archiven. Andererseits steht den Mitarbeitenden der FSGR durch die automatisierte Digitalisierung, Beschreibung und Verpackung der Bilder künftig mehr Zeit für das Retten und die Pflege der Originalmaterialien zur Verfügung. Darüber hinaus wird der Zugang der Fotobestände für die interessierte Öffentlichkeit über ein niederschwelliges Online-Angebot und neue Formate der Kulturgut-Vermittlung in den Regionen optimiert. Für die Zusammenarbeit mit Bildungsinstitutionen und das Sammeln von Geschichten rund um die Bilder über Oral-History-Projekte steht dann ebenfalls mehr Zeit zur Verfügung. Arbeitsplätze werden also bei der Fotostiftung durch den Einsatz von Robotern und KI-Werkzeugen nicht verloren gehen. Monotone oder gar gesundheitsschädigende Arbeiten, wie der Umgang mit stark zerfallenen Fotomaterialien, die giftige Dämpfe entwickeln können, werden aber künftig von Robotern und Maschinen erledigt. Somit können sich die Mitarbeitenden der Stiftung vermehrt Aufgaben widmen, die einen tieferen Sinn ergeben.