Im Dienste der Leichtigkeit des Seins

Musik an frischer Luft: Das Festival da Jazz lockt in diesem Jahr wieder an den Lej da Staz (links). (Fotos: Henry Schulz)

Das Festival da Jazz probt das Trotzdem
Schon früh hat sich das Festival da Jazz dazu entschieden, trotz Pan­demie im Juli und August Konzerte durchzuführen – dabei war lange nicht abzusehen, ob aus dem Wunsch auch Realität werden würde.
Text 
Julian Reich

Es ist Mitte April, als wir Christian Jott Jenny, Gründer und Intendant des Festivals da Jazz St. Moritz, erstmals erreichen. Noch klingt das Vorhaben, im Sommer eine Konzertreihe durchzuführen, eher nach naiver Zuversicht, ja fast nach trotzigem Dennoch. «Es ist eine Haltungsfrage», sagt Jenny durch das Telefon, «wir können immer noch eine Stunde vor Konzertbeginn absagen – und jeder würde es verstehen.» Also plant er vorwärts, lässt seinen Mitarbeiterstab weiterorganisieren, führt Gespräche, um die Sponsoren bei Laune zu halten. Und das vor dem Hintergrund einer Pandemie, die gerade die Kulturindustrie in eine verordnete Schockstarre geführt hat. Die Museen sind erst seit Kurzem wieder offen, Musik und Theater werden vornehmlich nach Hause gestreamt, an Veranstaltungen in Innenräumen ist nicht zu denken. «Man muss aufpassen, dass sich die Menschen nicht daran gewöhnen. Das wäre fatal für die ganze Branche», sagt Jenny. Deshalb auch das Festivalmotto: «Keeping Live Music Alive», die Livemusik am Leben halten. Vor allem geht es Jenny darum, die «Leichtigkeit des Seins nicht zu vergessen, denn zuletzt wog alles so schwer».

 

Konzertstimmung im Taiswald

Der Lohn der Garderobiere

Dass der Kultur die Luft abgeschnitten ist, beobachtet Jenny überall, von St. Moritz über Zürich bis Berlin. Und warnt vor den Folgen: «Die Kulturbranche, das sind ja nicht nur die auftretenden Künstler, sondern eine ganze Kette, von den Bühnentechnikern bis zur Garderobiere. Auch deren Lohn hängt davon ab, ob gespielt wird oder nicht.» Immerhin, so findet Jenny, liegt er mit seinem Festival in ­einem Kanton, der vieles richtig gemacht hat in dieser Zeit. Der Gemeindepräsident von St. Moritz, der in einem Teilpensum seinen kulturellen Projekten nachgeht, konnte aus der Nähe beobachten, wie die Krise bewältigt wird. «Und da hat man im Kanton Graubünden einen guten Job gemacht.» Vielleicht sei es das Verständnis für die Bedeutung des Tourismus, der es ermöglichte, dass man die Dinge pragmatischer angeht als anderswo. «Natürlich ist eine Teststrategie, wie sie Graubünden verfolgt, in Städten schwieriger umzusetzen – und dennoch kann man sagen, dass Graubünden oft eine Pionier­rolle eingenommen hat. Und hoffentlich nehmen wir nun diesen Schwung in den Sommer mit.»

 

Gitarrenvirtuose Lee Ritenour.

Auf dem Weg zum Bundesrat

Telefon Nummer zwei, einige Tage später. Gerade hat der Bundesrat verkündet, dass Veranstaltungen mit Publikum wieder möglich sind, etwa in Sportstadien, Kinos oder Theater- und Konzertlokalen. Und Jenny selbst ist gerade auf dem Weg nach Bern, wo er mit Bundesrat Alain Berset und Vertretern seines Departements zusammensitzen wird, ein Höflichkeitsbesuch, sagt Jenny, diesmal in seiner Funktion als Gemeindepräsident. Die Stimmung ist hörbar gelöster als beim ersten Gespräch, und er schwärmt von den Signalen aus den USA, wo die Impfungen viel schneller vorangehen als hierzulande, und die Künstler, die Jenny eingeplant hat, Optimismus versprühen. Doch noch immer blickt der Festivaldirektor mit einem kritischen Auge in die Zukunft. Er erzählt von seinen Mitarbeitenden, die wie viele unter der pandemischen Grundstimmung litten, die Motivation hoch­zuhalten ist denn auch seine grösste Herausforderung. Vier Personen arbeiten das ganze Jahr über für das Festival, während der Durchführung wachst die Zahl auf bis zu 50.
Wer weiss schon, wie das umgesetzt werden soll im Sommer, ein Testzentrum will ja kein Festival sein, und die Kapazitäten um ein oder zwei Drittel zu verringern, ist auch gefährlich. «Wenn man dann die Eintrittspreise entsprechend erhöht, haben wir eine Zweiklassengesellschaft, und das will ja auch niemand», sagt er.

 

Weniger Plätze, höhere Preise?

Das Festival da Jazz bietet seit jeher nur wenige Plätze. Die Hauptlocation war vor Corona jeweils der Dracula Club in St. Moritz, wo man dicht gedrängt und quasi von Angesicht zu Angesicht mit den Auftretenden sass oder stand. Das war schon im letzten Jahr nicht möglich, auch 2021 bleibt der Club geschlossen. Die geringe Publikumsgrösse machte es für das Festival schon immer überlebensnotwendig, relativ grosse Drittmittel zu finden, von der öffentlichen Hand, noch mehr von Privaten. Kaum ein Festival, das eine derart illustre Reihe von Sponsoren auf dem Banner trägt wie das Festival da Jazz.
Und so erstaunt nur wenig, was das Festival da Jazz für 2021 neu ins Porgramm aufgenommen hat: Das Jazzlab, ein Förderinstrument für Nachwuchsmusikerinnen und -musiker, gesponsort für fünf Jahre vom Autohersteller Jaguar. Wie das zustande kam, gerade in wirtschaftlich schweren Zeiten? «Jahrelange Beziehungspflege», sagt Jenny, der das Festival 2008 ins Leben rief. Und warum engagiert sich eine Autofirma für junge Talente? Weil man eben in die Zukunft investieren wolle, sagt der ­Intendant, nicht in bereits erfolgreiche Stars. Was wiederum auf das Image des Sportwagenherstellers zurückstrahlen soll, so die Rechnung des Sponsors. Die jungen Musikerinnen und Musiker wiederum sollen davon profitieren, mit Iiro Rantala und ­Omar Sosa, zwei neugierigen, virtuosen Musikern und Komponisten, zusammenzuarbeiten. Ausserdem kommen sie in den Genuss eines Preisgelds, können ein Konzert in St. Moritz spielen und Kontakte im Showbusiness knüpfen.

 

Komponist und Mentor Iiro Rantala.

Die Fallzahlen sinken, die Stimmung steigt

Telefon Nummer 3, es ist Mai, die Fallzahlen sind gesunken, Jennys Stimmung dafür gehoben. Der Ausstiegsplan, den der Bundesrat präsentiert hat, stimmt ihn zuversichtlich. Unwahrscheinlich sei es, dass es nochmals in die andere Richtung gehen werde. Das Festival da Jazz ist jetzt eines von nur wenigen Pilotevents, an denen eine coronasichere Durchführung geprobt werden soll. Das Covent genannte System soll sicherstellen, dass an Veranstaltungen keine mit Corona infizierten Personen teilnehmen. Entweder getestet, geimpft oder gerade genesen, so die Vorgabe. Wie genau es umgesetzt wird, ist im Mai noch nicht abzusehen.
Für Jenny ist aber nun klar, dass man definitiv planen kann für den Sommer. Etwa die Hälfte der Konzerte wird im Aussenraum stattfinden, an bereits zuvor bespielten Orten wie dem Taiswald oder dem Lej da Staz. Aber auch die Hotels böten genug grosse Räume, um eine sichere Durchführung zu gewährleisten. Welche Künstler wo auftreten werden, ist jedoch noch nicht ganz sicher. Immerhin schickt Jenny eine Liste mit Namen mit, und wieder einmal lässt sich der Intendant nicht lumpen. Grössen wie Keziah Jones, John Mc Laughlin, Brad Mehldau, Dave Grusin, Joss Stone, Monty Ale­xander und Angelique Kidjo stehen darauf – ein wenig reibt man sich die Augen ob all diesem internationalen Glamour, der noch vor einigen Wochen eher als naiver Traum eines unverbesserlichen Optimisten erschien.

 

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