Die Gründungsakten der Pro Raetia liegen heute im Staatsarchiv Graubünden.
Die Idee einer Dachorganisation aller Bündner Vereine ist alt. Ein erster Versuch 1923 misslang wegen zu grosser Widerstände. 1942 lancierte mein Vater Balz Fetz, damals Präsident des Bündner Vereins Basel, die «Terra Grischuna». Bald wurde diese Publikation ein zentrales Organ der Bündner Vereine und gab dem Projekt eines Zusammenschlusses neuen Auftrieb. Damals lebten bereits über 27 000 Bündner im Unterland. Sie waren vor allem aus beruflichen Gründen ausgewandert, fühlten sich aber immer mit dem Heimatkanton eng verbunden. Nicht zuletzt unter dem Eindruck des zweiten Weltkriegs verstärkte sich der Wunsch, näher zusammenzurücken. Einen wesentlichen Anstoss erfuhr die Pro Raetia am 2. Juni 1946. Der Bündner Verein Luzern organisierte auf dem Bürgenstock eine Bündner Landsgemeinde. An dieser Tagung durfte mein Vater Balz Fetz das Konzept für eine Pro Raetia den über 300 Teilnehmenden vorstellen. Die Resonanz war so positiv, dass er noch im gleichen Jahr einen ersten Statutenentwurf ausarbeitete.
Die Namen der Gründer.
Als wesentliches Ziel wurde vor allem die Unterstützung der Bündner Vereine und des Kantons Graubünden formuliert. Dabei war es ihm ein Anliegen, dass sich die Bündner Vereine ihre Unabhängigkeit bewahren und sich nicht durch die Pro Raetia konkurrenziert fühlten. Einzelmitglieder sollten nur aufgenommen werden, wenn sie nicht im Gebiet eines Bündner Vereins zu Hause waren. Unermüdlich weibelte mein Vater in den kommenden Jahren für seinen Verein. In zahlreichen Sitzungen mit den Bündner Vereinen wurde 1949 endlich ein konsensfähiger Statutenentwurf gefunden. Neu waren jetzt auch Vereine, Firmen und Mitglieder aus dem Kanton Graubünden als Mitglieder willkommen. Damit hoffte man, die Verbindung mit dem Heimatkanton noch enger gestalten zu können.
Am 22. Mai 1949 wurde in Luzern die Pro Raetia in feierlicher Weise aus der Taufe gehoben. 31 Vertreter der Bündner Vereine Aarau, Basel, Bern, Biel, Glarus, Luzern, Olten, Rapperswil, Solothurn, St. Gallen, Uri, Winterthur und Zug sowie der Uniun Romantscha Bern stimmten an dieser ersten Delegiertenversammlung für die neuen Statuten. Nach der Gründung wurde mein Vater zum ersten Zentralpräsidenten gewählt. Der weitere Vorstand wurde mit zwölf Herren aus den angeschlossenen Vereinen besetzt. Die Statuten sahen vor, den Vorstand im sogenannten Vorortsystem alle zwei Jahre bei einem Bündner Verein anzusiedeln. Bereits an der 2. Delegiertenversammlung in Rapperswil konnte der Vorstand erfolgreiche Tätigkeiten vermelden. Eine Sammlung für das 1949 abgebrannte Dorf Selva erbrachte stolze 7000 Franken. Mit der Aktion «Ferien für Bergkinder» wurde den Jungen Gelegenheit gegeben, bei Bündner Familien im Unterland die Schweiz kennenzulernen. Eine engere Bindung zum Heimatkanton brachte eine Tagung des Vorstands in Chur mit der ganzen Bündner Regierung. Die Pro Raetia wollte sich für die Verbesserung der sozialen Bedingungen in Graubünden einsetzen. Der Kanton kämpfte damals mit grossen finanziellen Problemen. Vor allem die Kosten der Rhätischen Bahn waren kaum zu tragen. Die Bündner Regierung liess sich ab diesem Treffen im Vorstand vertreten und leistete einen grösseren Beitrag. Der Vorstand war jetzt der Meinung, dass die Pro Raetia «ein vierter Bund im Bund der Drei Bünde» werden könnte!
Die Gründer: Foto der ersten Versammlung in Luzern.
Nach und nach schlossen sich weitere Bündner Vereine nicht ohne Widerstände der Pro Raetia an. Der zweite Vorstand mit Hanns Buchli als Zentralpräsident in Bern entwickelte eine extreme Aktivität. Die Heimarbeit im Kanton wurde gefördert und eine Webstube im Puschlav unterstützt. Die Gründung einer bündnerischen Kulturgemeinschaft wurde lanciert. Eine Mitgliederwerbung für Bündner im Ausland war ein mässiger Erfolg, obwohl in Paris eine Sektion gegründet wurde. Dies alles strapazierte vor allem die Finanzen des jungen Vereins und der Vorstand trat zurück. Balz Fetz übernahm zusammen mit einer Kommission wieder das Ruder und wählte mit Christian Walther einen ersten Geschäftsführer. Walther erwies sich als Glückfall, denn er wusste die Pro Raetia in aktive, aber ruhigere Bahnen zu lenken. Fünfundzwanzig Jahre lang sollte er der «Mister Pro Raetia» sein. Später übernahm er auch für viele Jahre die Redaktion der «Terra Grischuna» und machte die Zeitschrift zum «offiziellen Organ der Pro Raetia – Vereinigung zur Förderung der Interessen Graubündens».
Dank der in Zürich domizilierten Geschäftsstelle konnte mein Vater zusammen mit Christian Walther Aktionen entwickeln, die der Idee der Pro Raetia entsprachen, aber den schmalen finanziellen und personellen Ressourcen entsprachen. Der Schreibende, Sohn des Gründers, erinnert sich lebhaft an die Pro-Raetia-Verkaufsausstellungen in zahlreichen Schweizer Städten. Es wurden in Bündner Heimarbeit hergestellte Produkte angeboten. Sehr beliebt waren mit Bündner Kreuzstichmuster verzierte Decken und Tücher. Natürlich gewann auch die «Terra Grischuna» bei diesen Gelegenheiten zahlreiche neue Leser. Die Geschäftsstelle förderte den Kontakt zu den Bündner Behörden und Wirtschaftskreisen. Den Bündner Vereinen wurde Unterstützung mit Vorträgen und Filmabenden geboten. Ein weiteres Anliegen war die Linderung der Winterarbeitslosigkeit im Kanton. Die Bemühungen, für Bündner Arbeiter temporäre Stellen in der übrigen Schweiz zu finden, war allerdings schwierig. Mit Leza Uffer konnte 1957 in St. Gallen endlich ein neuer Vorstand etabliert werden. Die Stellung der Pro Raetia war jetzt breit anerkannt. An den jährlichen Delegiertenversammlungen referierten namhafte Experten und Politiker zu aktuellen und oft auch brisanten Bündner Themen. Der Kraftwerkbau war ein Thema, das viele bewegte, denn ganze Bündner Täler sollten unter Wasser gesetzt werden. Weitere Themen waren schon damals der Bahn- und Strassenbau. Der San Bernardino-Tunnel ins Misox und neue Bahnverbindungen wurden aktuell. Diese thematischen Versammlungen bildeten später die Grundlage für Landtagungen in Graubünden und Unterlandtagungen in der ganzen Schweiz.
1959 fand die Delegiertenversammlung am Gründungsort Luzern statt. Stolz durfte Zentralpräsident Leza Uffer auf das Erreichte zurückblicken. 23 Bündner Vereine und 300 Einzelmitglieder und 37 Bündner Gemeinden bildeten jetzt eine breite Basis. Uffer erwähnte die manchmal schwierigen Anfänge ebenso wie das grosse persönliche Engagement vieler Beteiligten. Dass mein Vater Balz Fetz für sein zwanzigjähriges unermüdliches Bemühen für Graubünden mit der Ehrenmitgliedschaft geehrt wurde, war wohl selbstverständlich. Regierungsrat Georg Brosi lobte die Pro Raetia in seiner Jubiläumsansprache für ihr erfolgreiches Bemühen, das Verständnis der Bergbevölkerung zu fördern und die «Heimwehbündner» näher an den Heimatkanton zu binden.