Kulturgut von unschätzbarem Wert

Abt Daniel Schönbächler vor der Vitrine zu Pater Placidus a Spescha und Pater Karl Hager ­im Klostermuseum Disentis.

Pater Daniel Schönbächler, ehemaliger Abt des Benediktinerklosters Disentis, hat ein Kulturgut von unschätzbarem Wert gerettet. Nun geht es darum, den fotografischen Nachlass des Wissenschaftlers ­und Volkskundlers Pater Karl Hager (1862–1918) vor dem Verfall zu retten und durch die Digitalisierung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Fotostiftung Graubünden will diese Aufgabe mit Respekt vor Pater Hagers Lebenswerk, einem Fotografen der ersten Stunde, sowie im Interesse der Allgemeinheit übernehmen.
Text und Bilder 
Fotostiftung Graubünden

In der Zeit von 2000 bis 2012 war Daniel Schönbächler Abt des Benediktinerklosters Disentis. Aber schon seit dem 12. Lebensjahr war er Schüler der Klosterschule Disentis und machte dort die Matura. So hatte er von seiner Jugend an einen Einblick in die klösterlichen Abläufe, lernte die Passionen der Patres kennen und wusste, dass der Naturgeschichtslehrer Pater Norbert Widmer (1900–1983) Tiere für das Naturalienkabinett ausstopfte. 1963 trat Schönbächler in die Klostergemeinschaft Disentis ein. «Als ich nach meinem Studium nach Disentis zurückkehrte, wurde ich im Fotolabor von Pater Norbert mit den Geheimnissen der Dunkelkammer bekannt, lernte Filme entwickeln und Papierabzüge erstellen», sagt alt Abt Daniel rückblickend. Nach dem Tode von Pater Norbert ging das Erbe der Fotokammer in Pater Daniels Verantwortung über. Zuständig für das Naturalienkabinett war damals Pater Ansgar Müller (1918–1999). Er wies seinen Mitbruder auf die erhalten gebliebenen Glasnegative von Pater Karl Hager hin und Pater Daniel ­begann, diesen Nachlass in ein Fotoarchiv zusammenzuführen, Kontaktkopien zu belichten, zu beschreiben und zu inventa­risieren.

 

Fotoschachteln mit Glasnegativen zu Pater Karls Studien über die Verarbeitung von Flachs und Hanf im Bündner Oberland.

Pater Karl Hager (1862–1918)

Doch wer war Pater Karl Hager, und was hat er fotografiert? Pater Karls Lebenswerk ist so umfangreich, dass es hier nur möglich ist, einzelne Aspekte herauszugreifen. Er doktorierte in Fribourg über die Kiefermuskeln der Schlangen, wozu bereits das Fotografieren gehörte. Sodann wurde Pater Karl Hager ein Pionier des Alpinismus und des Naturschutzgedankens. Im Gefolge von Pater Placidus a Spescha (1752–1833) erforschte er die heimische Gebirgswelt und machte fotografische Aufnahmen für ein Oberalp- und Mundaunpanorama. Über Prof. Carl Schröter (1855–1939) und den Bündner Oberforstinspektor Johann Coaz (1822–1918) kam er zur Pflanzengeografie. Seine erste forstbotanische Arbeit unter dem Titel «Streifzüge zwischen den Arven und Bergföhren am Lukmanier» fand gute Aufnahme und öffnete dem Autor den Zutritt zur Fachwelt. Er hat in der Erforschung und kul­turgeschichtlichen Erschliessung der Surselva ein facettenreiches Bild hinterlassen.

 

Zersplitterte Glasplatten können digital restauriert werden. Glasdia: «Kochen und Pressen des Flachs-Samens».

Forschungsobjekt Forstbotanik …

Im Auftrag von Johann Coaz dokumentierte Pater Hager ab 1878 die wild wachsenden Holzarten des Bündner Oberlands. Im Lauf von neun Sommern durchforschte er das Bündner Vorderrheintal von Ilanz bis zum Oberalppass mit all seinen Seitentälern (exklusiv der Val Lumnezia), also ein Gebiet von 765 Quadratkilometern, auf seine pflanzen­geografischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Er hat 123 wild wachsende und 28 kultivierte oder verwilderte Holzarten ausgemacht und alles auf zwei topografischen Karten mit Farben eingetragen. 1916 erschien die Arbeit unter dem Titel: «Verbreitung der wild wachsenden Holzarten im Vorderrheintal, Kt. Graubünden».

… und bäuerlicher Alltag

Parallel zur Pflanzengeografie erwachte in Pater Karl immer mehr das Interesse für die Lebensweise jenes Volkes, in dem er durch das Kloster seine Wahlheimat gefunden hatte. Postum erschien die bedeutsame Abhandlung: «Flachs und Hanf und ihre Verarbeitung im Bündner Oberland. Kulturwissenschaftliche Skizzen.» Professor Schröter edierte sie auf Pater Karls Wunsch hin im Jahrbuch des Schweizerischen Alpenclubs, Band 53, 1918, S. 129–179. Erhalten geblieben ist ein reiches Bildmaterial (Original-Glasnegative). Pater Karl fotografierte Szenen aus dem bäuerlichen Alltag, dokumentierte die Graswirtschaft und den Getreideanbau vom Pflügen über das Säen, Jäten, Sicheln, Trocknen bis zum Dreschen. Der relativ frühe Tod verhinderte die Fertigstellung dieser Arbeit. Immerhin konnte das 1992 eröffnete Klostermuseum für die naturgeschichtliche Ausstellung auch auf seine Aufnahmen zurückgreifen.

Kulturgut sichern

Die Fotostiftung möchte das fotografische Vermächtnis folgendermassen retten: Zunächst werden die Glasnegative gereinigt, danach zwecks Konservierung in neue, säurefreie Behältnisse umgelagert. Anschliessend werden die Bilder von Pater Karl und seinen Nachfolgern im Fotolabor hochaufgelöst digitalisiert. So können aus vielen scheinbar «blinden» Platten die auf den ersten Blick verschwundenen Sujets wiederhergestellt werden. Dank der Digitalisierung können die Bilder anschliessend der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. Neben dem Kloster Disentis wird das Aufarbeitungsprojekt der Fotostiftung Graubünden mitfinanziert von Memoriav, dem Verein zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturgutes der Schweiz, dem Amt für Kultur sowie der Gemeinde Disentis.

Und was passiert mit Abt Daniels vielfältigem fotografischem Werk, das vor allem im Zusammenhang mit der 30 Jahre dauern­den Redaktion der Hauszeitschrift «Disentis» entstanden ist? Bernard Cathomas, Stiftungsratspräsident der Fotostiftung Grau­-
bünden, meint dazu: «Wir möchten in einem nächsten Schritt auch diese für Disentis und seine Umgebung sehr wichtigen Zeitdokumente für künftige Generationen erhalten und in den kommenden Jahren online zugänglich machen.»

 

Weitere Infos

Fotostiftung Graubünden, Regierungsplatz 30, 7000 Chur
Telefon 077 413 88 13, info@fotoGR.ch, www.fotoGR.ch