Beim Cicerone der glühenden Lämpchen

Solche Nuss­schalen-Talg­lichter hingen einst an Muttner Christbäumen.

Eine Stippvisite im Ortsmuseum Obermutten
Beleuchtungen aller Art helfen dem Menschen, den Tag in die Nacht hinein zu verlängern. Und sie nehmen ihm die Angst vor der Dunkelheit, dem Unheimlichen. Wer mehr über die Historie von Lichtern und Leuchten in Graubünden erfahren will, besucht am besten Erwin Wyss und seine Ausstellung «Weil noch das Lämpchen glüht» hoch oben am Muttner Berg, wo der Strom erst 1967 Einzug gehalten hat.
Text und Bilder 
Jano Felice Pajarola

Geht einem Begriffsstutzigen ein Licht auf, so sagt man unten in Thusis gerne: «Ah, äs taget ob Mutta!» Auch die im Tal wissen also: Oben in Mutten wird’s früh hell, und in Obermutten sogar noch früher. Von daher kann es kein Zufall sein, dass man ausgerechnet dort ein Museum findet, das – na ja, nicht gerade ganz, aber doch zum grössten Teil dem Thema Licht gewidmet ist. Und den Strategien des Menschen, der Dunkelheit Herr zu werden, mit Leuchten und Lampen aller Art, seit Jahrtausenden. Immerhin mehr als drei Jahrhunderte alt ist das Walserhaus, in dem Besitzer Erwin Wyss das Ortsmuseum Obermutten eingerichtet hat, und wer es besucht, tut am besten das, was die meisten dort tun: Sie lassen sich von ihm durch die Ausstellung führen. «Ich frage die Leute jeweils, soll ich etwas erzählen? Und fast alle sagen, jaja, unbedingt», meint Wyss schmunzelnd. Er hat ja auch einiges an Wissen in petto zum Thema Beleuchtung, Wissen, das er gerne weitergibt – und das er auch gerne erweitert, wenn mal jemand den Weg nach Obermutten findet, der sogar noch mehr Leuchten- und Lampenkenntnisse hat als er selbst. «Es gibt hier immer wieder interessante Begegnungen», sagt Wyss – und damit auch die Gelegenheit, Neues zu lernen. Der 74 Jahre alte Haus- und Ausstellungsherr beherrscht sein Metier als Cicerone der Leuchtmittel übrigens nicht nur auf Deutsch. Italienisch, Französisch und Englisch sind ebenfalls im Repertoire, Fachausdrücke inklusive.

 

Erwin Wyss führt gerne durch sein Lampen­museum in Ober­mutten

Kerzenständer statt Kronleuchter

Kienspan und Talg, Öl und Petrol, Karbid und Gas, alle diese Brennmaterial-Kategorien sind in der Ausstellung vertreten. Sie zeigt nicht die Prunkwelt von Adelshäusern und die Kommoditäten der Amtsstuben, sondern den sparsam beleuchteten bäuerlich-berglerischen Alltag, in dem nur simple Kerzenständer Verwendung fanden und nicht ausladende Kronleuchter. Wobei es ja, und damit wäre man schon mitten drin in der Thematik, so eine Sache war mit den Kerzen: Einst dem sakralen ­Bereich vorbehalten und zu diesem Zweck aus ­teurem Bienenwachs gefertigt, gab es für die breite Bevölkerung lange Zeit nur die «übel riechenden, stark russenden und tropfenden Talgkerzen», wie man von Wyss erfährt, hergestellt aus den ungeniessbaren Resten tierischer Fette. Kerzen, wie wir sie heute kennen, fanden erst viel später grössere Verbreitung, bis sie dann in Obermutten in den Jahren vor der Elektrifizierung anno 1967 sogar die am häufigsten eingesetzte Lichtquelle waren. Damit hatten sie anderen Materialien, die in Mutten bis ins 20. Jahrhundert hinein verbreitet gewesen waren, den Rang abgelaufen: den vornehmlich aus harzreicher Föhre hergestellten billigen Kienspänen, dem Talglicht und dem offenen Herdfeuer. Klassische Öllampen notabene «gab es eher im Mittelland», weiss Wyss, «weil man dort über die nötigen pflanzlichen Öle verfügte. Der Alpenraum war Talglampengebiet.» In Mutten sogar am Weihnachtsbaum: Einige Familien schmückten ihn mit Talglichtern in Nussschalen, «die brannten zwölf Minuten lang», erinnert sich der Muttner, er fertigt solche Lichter noch heute als Mitgebsel für junge Besucher an.

 

Eine Stall­lampe mit Petrol, wie sie einst in Mutten in Gebrauch war.

«Grässlich gefaucht und gestunken»

«Ich bin mit Kerzenlicht und Petrollampen, mit Karbidlampen, Benzinvergaserlampen und Kien­spänen gross geworden, ich habe das als Junge alles noch selber erlebt», erzählt der in Untermutten aufgewachsene Wyss. Die Vergaserlampen beispielsweise hätten für heutige Begriffe grässlich gefaucht und gestunken. Für ihn als Bub sei das aber ein «aromatisch angenehmer Geruch» gewesen, «wie überhaupt alles, was die Benzin- und Rohöl-Verbrennungsmotoren verpufften.» Und das geruchlose Petrol von heute mische er gerne mit dem riechenden von früher, um die Erinnerung an vergangene Zeiten zu wecken.

Das Walserhaus, in dem sich heute das Museum befindet, gehörte einst dem Urgrossvater von Wyss’ Grossmutter, dann kam es in einen anderen Familienzweig. 1993 konnte der Nachfahre es aus einer Erbengemeinschaft erwerben, er hatte schon damals kulturhistorische Pläne, und «die konnten nur in diesem Haus verwirklicht werden», fand ­er. Er restaurierte das Gebäude sanft, und 2011, fast 20 Jahre nach dem Kauf, konnte er das Ortsmu­seum schliesslich eröffnen. «Seither gibt es auch die Dauer­ausstellung über Beleuchtungen», sagt Wyss. «Ich wollte etwas Gegenständliches zeigen, statt alle Wände mit Bildern und Tafeln verdecken zu müssen.» Vom mittlerweile verstorbenen Schmied und Lampensammler Gaudenz Michael aus Thusis bekam er viele Leihgaben, die er später erwerben konnte; andere stammen aus dem Fundus des Rätischen Museums. Etwa 150 Objekte waren letztlich beisammen, als Wyss das Museum in Betrieb nahm. Inzwischen umfasst die ganze Beleuchtungssammlung 400 bis 500 Gegenstände – zeigen kann der Muttner längst nicht alles, was er über die Jahre auch auf Flohmärkten oder auf dem legendären Brocante in Les Landerons gefunden hat. Und manchmal melden sich ältere Leute bei ihm, in deren Verwandtschaft sich niemand für die historischen Lampen interessiert, die sie noch zu Hause haben. Auch so stossen spannende Objekte zu Wyss’ Sammlung dazu.

 

Das Ortsmuseum Obermutten ist in einem alten Walserhaus untergebracht.

Hauptsache hell im Stall

«Eine grössere Beleuchtungsausstellung als in Obermutten gibt es in der Schweiz wohl nur im Historischen Museum Olten», schätzt Wyss. «Und praktisch alle Objekte hier sind funktionstüchtig.» ­Auch die Schiffsleuchte in der Stube, erworben in Liverpool anlässlich einer Titanic-Ausstellung. Die wertvolle Speckstein-Öllampe in Vogelform, ein Geschenk des früheren Bündner Denkmalpflegers Hans Rutishauser und «möglicherweise vorrömisch», wie Wyss meint. Die Muttner Kerzenzieher-Orgeln für das Giessen von Kerzen. Die Schusterkugel, gefüllt mit Wasser, sie lenkt wie eine Linse das Tageslicht von draussen auf einen bestimmten Punkt im Raum, ein simples Arbeitslicht. Die spanische Lampe aus Scheid, wohl nach Hause gebracht von einem Söldner in fremden Diensten. Oder die Karbid-Stalllaterne, die der Vater einst im Einsatz hatte. Wie Lampen mit Karbid funktionieren, das zeigt Wyss besonders gerne. Er holt eine alte Karbid-Velolampe aus den Ausstellungsregalen, öffnet die Wassertropfen-Zufuhr zum Calciumcarbid im unteren der beiden Lampenbehälter und entzündet das nun aus einer chemischen Reaktion entstehende Acetylen-Gas am Brenner. Eine grelle Flamme leuchtet auf, verstärkt noch vom Spiegel in der Leuchte. Wie sagt doch das Sprichwort, das auch Wyss gern zitiert? «Besser ist es, ein Licht anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen.» So, wie es auch die Leute in Mutten und anderswo seit Jahrhunderten tun, ob nun mit Kienspan, Talg, Petrol, Karbid oder schliesslich Strom. In Untermutten hatten ja schon 1910 die Glühbirnen in den Stuben geleuchtet. Und als es 1966 an der Muttner Gemeindeversammlung darum ging, den Kredit für die Elektrifizierung der Siedlungen Stafel und Obermutten zu sprechen, soll ein Landwirt gesagt haben: «Das Wichtigste wäre, wenn man wenigstens das Licht im Stall installieren könnte.» «Das», meint Wyss lachend, «zeigt doch klar die Prioritäten.»

 

Die Schusterkugel lenkt Licht auf einen bestimmten Punkt im Raum.

Weitere Infos
Ortsmuseum Obermutten

Das Ortsmuseum Obermutten kann auf Anfrage besucht werden. Besichtigungen sind auch immer dann möglich, wenn das Haus offen ist; Auskunft erhält man bei Erwin Wyss unter der Mobilnummer 079 256 13 66. Neben der Beleuchtung werden im Museum auch der Brand von Obermutten anno 1946 und der Wiederaufbau der Siedlung thematisiert, ausserdem sind originale Stereoskopie-Bilder zu sehen, und auch die Odyssee einer uralten Muttner Bibel wird erzählt. Seit Sommer 2017 steht das Haus zudem als ausserordentliches ­Zivilstandslokal der Region Viamala für Ziviltrauungen offen. Und auf Voranmeldung wird sogar nach alten Muttner Rezepten für zwei bis vier Personen auf dem einstigen Holzherd gekocht. Selbstverständlich ist der kulinarische Genuss dann verbunden mit einer Führung durch die Ausstellung «Weil noch das Lämpchen glüht». obermutten.ch

 

Autor

Jano Felice Pajarola ist Redaktor bei den Zeitungen «Südostschweiz» und «Bündner Tagblatt». Er lebt in Cazis. janofelice.pajarola@somedia.ch