Zurück zur Einfachheit

77 Bombay Street in ihrem Probenraum in Scharans.

Die Bündner Band 77 Bombay Street ist wieder da
Vor etwas mehr als zwei Jahren drückten sie auf «Pause»: die vier Brüder von 77 Bombay Street. Sie hatten auf grossen Bühnen gespielt, ihre Alben erlangten Platinstatus, es regnete Preise. Nach einer Zeit der Neuorientierung sind sie jetzt wieder bereit für die kleinen und grossen Bühnen.
Text 
Julian Reich
Bilder 
Claudio Godenzi / Fotopower

In Scharans kommt man den Buchlis nicht aus dem Weg: Der Familienname steht hier gefühlt auf jedem zweiten Briefkasten. Offensichtlich hat auch die Familie von Matthias, Joe, Simri und Esra Buchli hier ihre Wurzeln – auch wenn man es nicht bei jedem der vier Brüder auf Anhieb hört. Denn da mischt sich munter Basel- mit Bündnerdeutsch, wuchsen die Geschwister doch auch in der Rheinstadt auf. Und für einige Zeit auch in Australien – woher nicht nur der Bandname rührt, sondern auch ihre Art, Musik zu machen. Doch ­davon später mehr.
Wir machen es uns bequem im Probenraum von 77 Bombay Street, der Fotograf schwärmt von der Atmosphäre, dem Holz, dem Licht – für einen Band­raum wird es einem hier ganz wohlig. Gerade haben die Brüder einen der beiden Halbtage pro Woche gemeinsam verbracht, die sie aktuell in ihr Bandprojekt stecken. Matt, der Leadsänger, Gitarrist und zuweilen Wortführer der Gruppe, hat Song­ideen präsentiert, die anderen ihre Rückmeldungen gegeben, gemeinsam haben sie weitergefeilt. Sie arbeiten derzeit an einem neuen Album, dem vierten nach «Up in the Sky» (2011), «Oko Town» (2012), und «Seven Mountains» (2015). Es erscheint im nächsten Jahr, rechtzeitig zur Rückkehr der Band auf die grossen Bühnen der Schweiz und Europas.

 

Offenes Ende

Vor zwei Jahren war offen, ob es je wieder zu diesem Moment kommen würde. Die vier entschieden, ihr Projekt zu pausieren, liessen Verträge auslaufen, fuhren ihr mittlerweile stattliches Unternehmen zurück. Das war zu einem Zeitpunkt, als 77 Bombay Street einen regelrechten Höhenflug erlebten. Konzert in Italien, Chartplatzierungen in Holland, Swiss Music Award, die Single «Empire» für die Ski-Weltmeisterschaften in St. Moritz: Man kannte ihre Gesichter, ihre Simmen, ihre Musik. Warum also der plötzliche Stopp?

 

Eine einzige klare Antwort dazu gibt es nicht, sondern mindestens vier. Jeder hatte Ideen, denen er selber nachgehen wollte, Matt seinem Studium in Ernährungswissenschaften, Simri und Joe in der Gastronomie und Hotellerie, Esra unter anderem mit der Schlagerparade in Chur. Joe sagt: «Wir wollten einfach unabhängig von der Band etwas auf die Beine stellen, und das hat gutgetan.» Esra wiederum spürte eine gewisse Sattheit: «Wir haben überall gespielt, wo man in der Schweiz überhaupt auftreten kann, hatten gute Platzierungen in den Charts und waren in ganz Europa unterwegs.» Aber dann, irgendwie, fühlte es sich einfach nicht mehr richtig an, im gleichen Tempo weiterzumachen. «Wenn du in diesem Rad drin bist, realisierst du gewisse Dinge einfach nicht mehr, die Bühnen werden grösser, die Bekanntheit auch, aber das passiert, ohne dass du es zu schätzen weisst. Es war wichtig, diese Pause zu machen und einmal zurückzuschauen und zu erkennen: Wir haben echt etwas erreicht.»

 

Ziel erreicht – was nun?

Sie hatten mehr erreicht, als sie sich überhaupt zum Ziel gesetzt hatten. Vor etwas mehr als zehn Jahren lautete dieses: von der Musik leben können, das Hobby zum Beruf machen. Und das gelang sehr gut, wie Matt Buchli sagt. Jetzt scheint es, als würden sie den umgekehrten Weg gehen: den Beruf wieder zum Hobby werden lassen.

Wie das gehen könnte, haben sie in diesem Jahr bereits ausprobiert, eine Testphase nennt es Matt. Seit Frühjahr haben sie rund zwölf Auftritte in reduzierter Form hinter sich, das heisst, ohne elektrische Gitarre, ohne viel Technik, ohne Schlagzeug. «Wenn du nicht so viel Technik mitbringst, kannst du ganz andere Locations spielen», sagt Matt, kleinere, intimere Orte, bei denen das Publikum in direkten Austausch mit den Musikern treten kann. Dabei gibt es paradoxe Erfahrungen, Simri zum Beispiel sagt: «Vor 100 Leuten bin ich viel nervöser als vor 10 000, weil man dem Pub­likum viel näher ist. In grossen Konzerten liegt ein Graben zwischen uns und den Zuhörern, im Ohr steckt vielleicht noch ein Earplug, das kapselt einen ab von der Masse.» In den kommenden Wochen und Monaten soll es zunächst so weitergehen: kleinere Clubkonzerte, kleineres Publikum. Im Sommer aber sind sie wieder bereit für die grosse Bühne, und sie freuen sich darauf. Esra vergleicht es mit dem Ackerbau: Man müsse das Land auch wieder ein wenig ruhen lassen, bevor etwas Neues wachsen könne.

Derweil feilen sie an den neuen Songs, die wie erwähnt vor allem von Matt geschrieben werden. Von 100 Songs, die er schreibt, seien vielleicht zehn wirklich brauchbar, momentan schreibt er drei bis vier pro Woche. «Das Ziel ist auch hier, einfacher zu werden, simplere Strukturen und Melo­dien zu finden. Aber das heisst nicht, dass das einfacher zu schreiben ist als ein komplexer Song.» Wichtig dabei ist auch der mehrstimmige Gesang, eines ihrer Markenzeichen. Wie man das Publikum für sich einnimmt, haben sie unter anderem auch während ihrer Zeit in Australien gelernt, als sie mit der Familie Strassenmusik machten. «Da merkst du schnell: Eigentlich interessiert das niemanden, du musst schon ein wenig Aufwand betreiben, um die Leute abzuholen.» Das komme ihnen zugute, wenn sie nun in kleineren Locations auftreten – ebenso aber auf den grossen Bühnen, wenn mehr Platz für die Show vorhanden ist.

 

Weitere Infos

Infos und Tickets unter www.77bombaystreet.com.