Das historische Archiv der a Marcas

a Marca

Der Studierraum im Archivio a Marca Bild zVg)

Der Kanton Graubünden ist reich an Familien, die die Geschichte des Kantons geprägt haben, seien es die von Salis, die von Planta, die von Sprecher oder die von Castelberg. Sie alle verfügen über Dokumente über ihre Geschichte. Kaum ein Archiv der Familiengeschichte ist so reich dokumentiert wie das Archiv der Familie a Marca in Mesocco.
Text 
Christian Dettwiler
Bilder 
Archivio a Marca

Die Schweiz kennt ja eigentlich keinen Adel, dennoch wurde die Geschichte von Familien geprägt, die letztlich als Patrizier in die Geschichte eingegangen sind: In Bern waren es die von Tscharner und die von Graffenried, in Basel die Hugenottenflüchtlinge wie die Sarasins oder die La Roche. In Graubünden waren es die von Salis mit ihren verschiedenen Zweigen (alle ursprünglich aus Soglio stammend), die von Planta und die von Albertini aus dem Engadin, in der Surselva waren es die von Castelberg, die über Jahrhunderte die Geschichte geprägt haben.
Von all diesen Familien gibt es Hunderte, ja Tausende von Dokumenten, die in verschiedenen Archiven lagern, sei es im Staatsarchiv des Kantons Graubünden in Chur oder in lokalen Gemeindearchiven. Kaum eine Familie hat die eigene Geschichte so umfassend dokumentiert wie die Familie a Marca.
Das bis heute bestehende Patriziergeschlecht aus Mesocco ist schon 1365 und 1391 in der Gemeinde bezeugt. Mehrere seiner Vertreter spielten eine bedeutende Rolle im öffentlichen Leben des Misox und der Drei Bünde. Sie standen als Söldneroffiziere im Dienst von Frankreich und Venedig, waren Geistliche, öffentliche Notare, Kaufleute, Bankiers und Emigranten. Die Familie erwarb sich ein beträchtliches Vermögen, vor allem durch Holz- und Viehhandel. 1583 luden Giovanni (ca. 1602), Oberst im Dienst Venedigs, und sein Bruder Nicolao (ca. 1607), Podestà im Veltlin, den Erzbischof von Mailand, Carlo Borromeo, zu einem Besuch ins Misox ein. Die Familie stellte drei Landeshauptmänner des Veltlins: Carlo von 1677 bis 1679, seinen Sohn Giuseppe Maria und schliesslich im Jahr 1797 als letzten Bündner Landeshauptmann im Veltlin Clemente Maria. Schon ab dem 16. Jahrhundert wirkten die a Marca ferner als Commissari in Chiavenna, als Podestaten in Plurs, Tirano, Teglio, Traona und Morbegno. Weitere Mitglieder der Familie amtierten als Landrichter des Grauen Bundes und nach 1803 als Mitglieder der Bündner Regierung und Richter in den höchsten kantonalen Instanzen. 1849 gehörte Giuseppe a Marca zu den ersten Bündner Ständeräten. Die Familie war durch Heirat mit den einflussreichsten Familien des Misox verbunden und verzweigte sich über Mesocco hinaus in die Gemeinden von Soazza-San Vittore, von Leggia, von Mailand-Chiavenna und von Bern. In Mesocco, Soazza, Leggia und San Vittore befinden sich noch immer Patrizierhäuser im Familien­besitz.
 

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Eines der bedeutendsten Dokumente aus dem Archiv aus dem Jahr 1462.

Ein Familienarchiv sondergleichen

Die meisten Dokumente der Familiengeschichte sind im «Archivio a Marca» in Mesocco seit 1981 zusammengeführt worden und befinden sich heute in der Casa a Marca in Mesocco. Das Haus wurde 2010 bis 2011 aufwendig renoviert und für die Archivarbeit ­entsprechend eingerichtet. Die Architekten der Renovation und der Innengestaltung waren Pierluigi a Marca, Barbara Boschung und Reto a Marca. Im Untergeschoss befindet sich ein mit allen Sicherheitsmassnahmen eingerichteter Archivraum für die Dokumente. Die Dokumente können in einem klimatisierten Leseraum im Dachgeschoss eingesehen werden. Dieser Raum ist eine eigentliche architek­tonische Attraktion: Es ist ein Glas­konstrukt, das mitten ins restaurierte Dachgeschoss eingefügt wurde.
Die Geschichte der Familie ist, wie eingangs erwähnt, lang und reich. Entsprechend umfassend sind auch die Dokumente, die verwahrt werden. Es handelt sich sowohl um handschrift­liche Dokumente mit Verträgen über die Mandate der Familienmitglieder als auch um Bücher, zum Beispiel eine Übersicht über die wichtigen Männer in Mesocco aus dem Jahr 1462 oder ein kurioses «Kochbuch» mit dem Titel «Il botteghino delle curiosità di Zaccagnino astrologo indovino, mercante di pepe, e sale per condire le zucche de politici capriziosi. Con le Cabole per giocar al Lotto. Sopra l’anno bisestile 1736», das Anleitungen gibt, wie man in einem Schaltjahr mit Salz und Pfeffer das Glück beeinflussen kann.

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Konstruktionsplan der Eisenbahnstation in Mesocco.

​Entwicklung und Kultur

Daneben gibt es auch historische Dokumente über die Entwicklung in der Moesano – zum Beispiel mit alten Plänen der Entwicklung der Eisenbahn, an der die Familie beteiligt war und ­immer noch ist, obwohl die Eisenbahn durch das Misox seit Jahren stillgelegt ist. Alte Pläne zeigen die Planung der Bahn mit seinem Endstation-Bahnhof in Mesocco. Auf der ganzen Strecke wurden kleine Bahnstationen eingeplant, und damit sind wir in der Ge­genwart eingetroffen. Reto a Marca, ein weltgewandter Kunsthändler, der kürzlich in Ascona eine umfassende Ausstellung über die «Nouveaux Rea­listes» mit Künstlern wie Jean Tinguely, Daniel Spörri, Yves Klein oder Günther Uecker realisiert hat, ist im Besitz einer dieser alten, nicht mehr gebrauchten Bahnhöfe im Misox und hat diesen zu einem Künstleratelier umfunktioniert, in dem stets im Sommer Künstler nach seiner Wahl sozusagen eine private Residenz haben.
Sein Sohn, Luigi a Marca, ist ebenfalls künstlerisch tätig und veranstaltet jedes Jahr in seinem privaten Garten das Kunstfestival «Open Art», zu dem er mehr oder weniger bekannte Künstler einlädt. Seine Veranstaltungen sind eine kulturelle Bereicherung im Misox, ebenso wie das Archiv seiner Familie. Das Archiv in Mesocco hat über Jahrzehnte sowohl die Familiendokumente gesammelt (mit über 10 000 Briefen und nahezu 1000 Büchern), dazugekommen sind aber auch zahlreiche Dokumente aus dem Misox und privaten Familien, die ihre Hinterlassenschaft dem Archiv übergeben haben. Damit gehört das «Archivio a Marca» wohl zu den bedeutendsten privaten Archiven des Kantons, wenngleich es vornehmlich nur die Südtäler des Kantons (inklusive des ehemaligen Untertanengebiets Veltlin und Chiavenna) abdeckt. Zudem ist die Stiftung auch publizistisch tätig und hat sowohl eine Ausstellung wie auch einen Katalog zum Architekten und Ingenieur Oskar Good realisiert.

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Historisches Dokument: Die heute nicht mehr erhaltene Kapelle «degli Angeli» oberhalb von Grono.

Die Stiftung mit ihrem Archiv kann auf Voranmeldung besucht werden. 

Weitere Infos

Autor Christian Dettwiler ist Redaktions­leiter der «Terra Grischuna». Er lebt in Flims.
redaktion@terra-grischuna.ch 
Online www.archivioamarca.ch