Zurück zu den Wurzeln

Der Bergacker des Scalottas Terroir

Zu Besuch auf Hansjörg Ladurners Bergacker
Kochen mit regionalen Produkten ist nicht erst seit Kurzem in Mode. Kaum einer treibt es aber so weit wie Hansjörg Ladurner, Küchenchef des «Scalottas Terroir» in Lenzerheide. Jetzt bewirt­schaftet er gar einen eigenen Acker.
Text 
Julian Reich
Bilder 
zVg

Hansjörg Ladurner ist, der Name sagt es, Südtiroler, arbeitet jedoch schon seit mehr als 20 Jahren in der Schweiz, zwölf davon als Küchenchef von zwei der sieben Restaurants des Hotels «Schweizerhof» auf der Lenzerheide. Im «Scalottas Terroir», auch hier: der Name sagts, verfolgt er seine Philosophie einer naturnahen und regionalen Küche mit besonderer Konsequenz. Auf den Teller kommt nur, was der Chef zuerst mit eigenen Augen gesehen hat, mit Vorliebe noch zu Lebzeiten des Tieres oder der Pflanze.
In diesem Jahr hat Ladurner sein Reich erweitert – der Küchenchef wurde auf gewisse Weise selbst zum Bauer. Auf einem Acker in Lain hat er auf rund einer Are Kartoffeln, Gerste und Ackerbohnen angepflanzt. Und zwar nach Alter Väter Sitte: Die Erde wurde von einem Pflug gelockert, den ein Pferd zog. Das hat nicht nur einen pittoresken Hintergrund – es ging darum, die Erde zu schonen und nicht durch das Gewicht eines Traktors weiter zu verdichten.

 

Hansjörg Ladurner

Aus Weide- wird Ackerland

An einem Sommermorgen stehen wir auf dem besagten Acker, das Albulatal wacht erst mit den ersten Sonnenstrahlen auf, während die Temperaturen auf der Sonnenterrasse schon steigen. Ladurner geht durch die Kartoffelreihen und begutachtet ihr Wachstum. Tipps und Knollen erhielt er von Marcel Heinrich aus Filisur, der dort selber seltene Sorten anbaut und zu den ausgewählten Lieferanten von Ladurners Küche zählt. Einige der Sorten hat Ladurner für seinen Acker ausgewählt, sie spriessen fröhlich.

Die Faszination für das Bäuerliche kommt beim Tiroler nicht von un­gefähr. Er wuchs im Südtirol auf. In einem Beitrag der Gastronomiezeitschrift «Salz & Pfeffer» erinnerte er sich so: «Wir kauften beim Dorfmetzger ein, das Gemüse stammte aus dem eigenen Garten und im Winter assen wir, was wir eingekocht hatten.»

In und um die Lenzerheide einen Acker zu finden, sei derweil gar nicht einfach gewesen, erzählt Ladurner, als wir am Rand der Parzelle stehen. Und er setzt an zu einem kleinen Exkurs über die Geschichte der Landwirtschaft. Anders als früher, als jede ­Familie zur Selbstversorgung einen Acker bewirtschaftete, setzten die Bauern vor dem Hintergrund der Milchunion im Laufe des 20. Jahrhunderts auf intensive Milchproduktion um. Die Äcker wurden zu Wiesen, die Ställe grösser, die Maschinen ebenso. Und auch das Kleinvieh verschwand zusehends. Mit seiner Idee, einen Acker anzulegen, stiess Ladurner deshalb zunächst einmal auf wenig Verständnis. Bis er Andrea Parpan fand, Bauer in Zorten und ein offener Geist.

 

Die rechte Hand fotografiert

An diesem Morgen schreitet Ladurner also durch den Acker. Ihm auf den Fersen ist René Bissig, ein passionierter Fotograf – und Ladurners rechte Hand in der Küche des «Scalottas Terroir». Das Duo bildet das gesamte Team, das die jeweils bis zu 32 Gäste des Restaurants bekocht. Wie eingespielt sie sind, zeigt sich nicht nur hier auf dem Acker, wo sie sich immer mal wieder mit lockeren Sprüchen aufziehen, sondern eben auch in der Küche, wie wir am Abend zuvor erfahren durften.
Vorspeise, Hauptgang, Dessert: Das ist der gängige Ablauf einer Mahlzeit. Nun, bei Hansjörg Ladurner darf es auch mal anders sein. Auf der Karte des «Scalottas Terroir» finden sich die gängigen Kategorien nicht. Stattdessen hat der Gast die Qual der Wahl. Nicht nur darf man aus den rund 20 Gerichten wählen, was man möchte – auch die Reihenfolge ist ganz dem Gast überlassen. So soll es auch mal vorkommen, dass jemand das Dessert zu Beginn bestellt – aus Furcht, am Ende des Abends nicht mehr genug Platz im Magen zu haben für das Quarksoufflé mit Marille oder das Schoko-Nuss-Törtchen. Aus eigener Erfahrung sei gesagt: Das wäre auch zu schade.

 

Die Freiheit des Gastes

Das «Scalottas Terroir» ist zunächst ein optisches und olfaktorisches Erlebnis. In dieser Arvenstube fühlt man sich schnell wohl, kein Lifestyle-Brimborium versucht einem irgendetwas vorzuspielen. Stattdessen wird man kompetent beraten, was den Wein betrifft – aber auch die Zusammenstellung des Menüs. Drei Portionen für den leichten, vier für den grossen Hunger seien empfohlen. Diese sind weder zu klein, um nach einem Bissen verschwunden zu sein, noch zu gross, um allzu sehr
zu sättigen. Wir bestellen ein ArvenSchaumsüppchen mit Apfelravioli und Preiselbeeren, danach ein Ei im Rutsch – eine Wachtelei aus dem Albulatal auf Gerstotto und Tannenöl – und den Ochsen hoch zwei – was ein Medaillon sowie eine Ochsenbrustkrokette beinhaltet. Die Gerichte sind schlicht an­gerichtet, die einzelnen Komponenten durch einen leichten Strich getrennt. Der Gast soll selber kombinieren dürfen, wie er es eben mag, findet Ladurner. Eine Freiheit, die wir gerne nutzen. Und die auch dem Restau­­rantführer Gault Millau gefiel, der dem Haus 15 Punkte verlieh.

Bei unserem Besuch noch nicht auf der Speisekarte sind die Bergkartoffeln, bei Erscheinen dieser Ausgabe dürfte es aber so weit sein. Noch nicht ganz reif ist die Zeit auch für die beiden Turopolje-Schweine – eine beinahe ausgestorbene kroatische Rasse –, die uns Ladurner im Anschluss an den Besuch auf dem Bergacker zeigt. Dazu fahren wir hoch Richtung Tgan­tieni, die Strasse schlängelt sich immer weiter hoch in Richtung Piz Scalottas. Auf den letzten Metern vor der Alp Ois stehen plötzlich Pferde im Weg – darunter jene Tiere, die im Frühling den Bergacker pflügten. Neugierig beschnuppern sie das Auto und diejenigen, die ihm entsteigen.

 

Als wären es seine eigenen Tiere

Honigbienen, Turopolje- Schweine und Ochsen nennt Ladurner schon sein eigen, auch wenn sie genau genommen den Bauern aus der Region gehören. Ladurner ga­rantiert diesen jedoch die Abnahme. Und behandelt die Tiere, als wären sie seine ei­genen.

Neben dem Häuschen stehen zwei massige Schweine in der aufgewühlten Erde. Ladurner begrüsst sie herzlich, doch ohne sie etwa mit Namen zu ­rufen. «Ich gebe Tieren keine Namen, ich will sie nicht vermenschlichen», sagt er. Letztlich sind es Nutztiere, und für Ladurner steht fest, dass sie irgendwann geschlachtet werden. Davor aber sollen sie ein artgerechtes Leben führen. Das scheinen sie auch zu tun, hier oben mit Blick auf das Tal und den See. Jetzt legt sich eines der Schweine auf die Seite, Ladurner krault es und ­beginnt scherzhaft mit dem Finger auf seiner Seite zu zeichnen: «Hier gibts Koteletts, hier einen feinen Schinken.»

 

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