Was heisst eigentlich zeitgemässes Wohlfühlen?

Gute Windverhältnisse auf dem Silvaplanasee - die Generation Y erfährt davon im Nu per Internet.

Der Tourismus muss sich den Herausforderungen neuer Generationen stellen
Es ist nicht mehr wie früher, als die Familie zwei Wochen Ferien buchte und sich dann das Aktivitätenprogramm selber zusammenstellte. Heute sind die Anforderungen an den Tourismus weit komplexer und vielschichtiger. Es braucht passgenaue Angebote, damit sich in Zukunft auch die neuen, jungen Generationen angesprochen fühlen.
Text 
Maya Höneisen

In den nächsten Jahren wird das Konsumverhalten zunehmend aus dem Lager der «Generation Y» (1981–1995) oder, etwas weiter geblickt, der «Generation Z» (geboren nach 1995) geprägt sein. Die Generation Y oder die «Mil­lennials», wie sie auch genannt wird, wird die Zukunft formen. War bei ihren Grosseltern noch das Eigenheim das Lebensziel und für die Babyboomer die Arbeitsplatzsicherheit, strebte die Generation X nach einer Work-Life-Balance. Die neuen Generationen sind das Bindeglied zwischen zwei Jahrhunderten, ja sogar Jahrtausenden. Sie bilden das Scharnier in der Zeitenwende vom industriellen zum digitalen Zeitalter. Und: Ihnen sind Freiheit und Indivi­dualität wichtig. Doch wer sind diese Millennials überhaupt? Und was wollen Sie?

 

Trail-Running (hier durch die Viamala) setzt sich als Trend immer mehr durch. (Foto Viamala Tourismus)

Von Marketingspezialisten und Touristikern werden sie schon seit Längerem beobachtet. Aktuell sind die Millennials zwischen 20 und 35 Jahre alt und bilden ungefähr 24 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Europa. Sie sind aber nicht automatisch junge Lohnempfänger oder mittellose Studenten. Viele unter ihnen sind Eltern, bereits in der Chefposition eines Unternehmens oder beides. Und sie würden massgebend die Entwicklungstendenzen beeinflussen, sagt das «Walliser Tourismus Observatorium».

Die Internetgeneration

Die Millennials gehören zur Genera­tion, die mit der Entwicklung des Internets gross geworden ist. Für sie passt dies auch mit touristischer Erfahrung zusammen. Ohne Social-Media-Kanäle dürfte es also schwierig sein, sie als Gäste zu erreichen. Das bestätigte auch Hans-Kaspar Schwarzenbach, ehema­liger Tourismusdirektor Sedrun-Disentis (siehe Artikel zu den Bädern in der Surselva in dieser Ausgabe). Er ist überzeugt, dass das Gästesegment der neuen Ski-Verbindung Sedrun-Disentis vor allem über die sozialen Kanäle angesprochen werden soll. «Ohne diese Kommunikationskanäle ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, das Inte­resse der Millennials vor oder nach einem Aufenthalt zu gewinnen.» «Der Millennial informiert sich, reserviert oder äussert seine Meinung immer online», sagt auch das Walliser Tourismus Observatorium. Zudem sind sie meist uneingeschränkte Anhänger des Teilens, also auch der Gemeinschaft, obwohl, nochmals Schwarzenbach zitiert: «Für sie heisst zeitgemässes Wohlfühlen Individualität und möglichst we­-nig fremdbestimmt sein.» Ein Widerspruch? Kann sein, auf jeden Fall aber eine touristische Herausforderung.

Gemeinschaft grossgeschrieben

Die Strategien in der Ansprache der Gäste und der passenden Angebote ist auch bei Graubünden Ferien Thema. Ebenso wie das gemeinschaftliche Erlebnis für den Gast. Es wird zudem – wie es auch die jungen Generationen suchen – verknüpft mit Authentizität. Zu nennen ist in diesem Sinne zum Beispiel die kulinarische Gemeinschaft der Tavolatas. Mit dem Angebot von «Swiss Tavolata» ermöglichen Bauernfrauen den Gästen einen Blick in ihre Kochtöpfe. Dort brutzeln und garen Zutaten vom eigenen Hof und Garten. Ein Erlebnis mitten in der Natur und in urchiger Umgebung, das sozi­-ale Kontakte in der Gemeinschaft ermöglicht und die digitale Welt mit der Realität ersetzt. Möglicherweise kann Authentizität sowieso als eine der wichtigen Anforderungen genannt werden. Der Austausch mit dem Gast soll echt und natürlich sein. Das beginnt schon bei seiner Ankunft mit der persönlichen Begrüssung durch die Gastgeber und zieht sich durch bis zu lokalen Produkten, die er gerne auf der Menükarte findet.

Individualität als Erlebnis

Zurück zur Individualität: Bei den Übernachtungsmöglichkeiten ist sie sehr gefragt. Graubünden Ferien hat unter dem Motto: «Schön unbekannt» Angebote ausgearbeitet und fragt: «Ein Bett im Kornfeld? Sich wie Heidi und Peter fühlen? Oder lieber in einem Berghotel aus Stein, Lehm und Holz übernachten?»

Als spezielles Erlebnis ist zum Beispiel die Übernachtung in einem kleinen, mit offener Küche und Kamin ausgebauten Alpstall direkt am Wanderweg und an der Langlaufloipe gelistet. Andere Angebote sind Übernachtungen in einem Bauwagen, in einem Tipi, in historischen Häusern oder solchen, in welchen früher Kastanien geröstet wurden. Für Familien sind es Jurten, Baumhäuser oder Betten auf Stroh.

Eine ausgeprägtere Variante des individualisierten Angebots dürfte «Survival Experience» sein. Der Parc Ela formuliert das Erlebnis so: «2 Tage unterwegs – 1 Biwaknacht im Freien – unter dem Motto «Rücksichtsvoll in der Natur unterwegs»: Mit Bergführer Essbares und Wundheilendes finden, Orientierung mit Karte und Kompass, Behelfen im Notfall, Equipment basteln und vieles mehr.» Sozusagen Pfadfinder für Erwachsene. Auch hier sind nebst der Individualität die Nähe zur Natur und die Ursprünglichkeit wichtig. Fachleute nennen es «Verschlichterung», die weg vom materiellen Luxus hin zum Wunsch nach Reduziertem und Essenziellem führt. Den Gast erwartet aber kein Mittelmass, sondern ein einfacher Luxus, bei dem der Genuss mehr im Vordergrund steht als das Materielle. In konkreten Angeboten findet er diesen zum Beispiel im «Glamping», einer neuen Form von Camping. Gäste verbringen ihre Ferien zwar auf dem Campingplatz, da aber zum Beispiel im beheizten Holziglu oder in Glamping-Zelten, die mit Doppelbetten und gar Sofas ausgestattet sind. Ein Erlebnis, das zugleich Ursprünglichkeit und ein gewisses Mass an Sicherheit vermittelt. Im Widerspruch dazu steigen die Anforderungen an eine Topin­frastruktur, zum Beispiel die Garantie der Schneesicherheit, Kapazitäten bei den Bahnen oder inzwischen auch Lade­stationen für ­E-Bikes auf Berg­spitzen. Auch die neue E-Mobilität stellt hohe Anforderungen. Diesen Tatsachen stehen wiederum Umweltgedanken gegenüber. Die Sensibilität gegenüber der Umwelt wird laut Schwarzenbach in Zukunft noch wichtiger werden, auch wenn das ökologische Bewusstsein oft im Widerspruch steht mit dem ökologischen Handeln. Das sei aber ein langsamer Prozess, erklärt er. Aber: «Wer in der Nachhaltigkeit und der sanften Mobilität nicht mithält, wird in fünf Jahren einen Nachteil haben.»  
 

Authentizität und Regionalität

Das Streben nach Individualität in Verbindung mit Authentizität und der Nähe zur Natur äussert sich – nebst dem E-Biken – auch in anderen sport­lichen Aktivitäten. Trail-Running, das heisst Joggen auf Wanderwegen, ist laut Graubünden Ferien stark im Kommen. Daneben bleiben Wandern und Biken, verbunden mit den bereits angeführten Übernachtungsmöglichkeiten, die Renner in der Angebotspalette.

Die Universität Bern veröffentlichte Anfang dieses Jahres eine Studie zu tourismusrelevanten Trends und Entwicklungen. Sie zog das Fazit: «Die Anforderungen an die Ausgestaltung der Angebote umfassen vor allem die Berücksichtigung der Individualisierung/Personifizierung und den Wunsch des Gastes nach Authentizität und Regionalität. Gleichzeitig erwarten die Touristen «einfache luxuriöse» Angebote, die in grössere Erlebnisräume eingebettet sind. In diesen Erlebnisräumen wollen die Gäste mitgestalten und im Austausch mit Gastgebern und Peers (Menschen mit gemeinsamen Interessen, Alter, Herkunft oder sozialem Status mit einer wechselseitigen Be­ziehung; Anm. d. Red.) stehen. Die Digitalisierung und damit die Vernetzung der Wertschöpfungskette ist eine notwendige Bedingung, die zunehmend preissensiblen Touristen zu erreichen und sie auf Angebote aufmerksam zu machen.»

Um nun auf die im Titel gestellte Frage nach dem zeitgemässen Wohlfühlen zurückzukommen: Es ist ein komplexes Thema und es braucht vonseiten des Tourismus wohl ein fein abgestimmtes Instrumentarium, um dem Zeitgeist der Millennials gerecht zu werden.
 

Glamping steht für luxuriöses Camping mit allem Komfort. (Foto Flims Camping)

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Autorin

Maya Höneisen ist freie Journalistin und regelmässige Mitarbeiterin der «Terra Grischuna». Sie lebt in Paspels.
m.hoeneisen@wortmarkt.ch