Wird der Spiessrutenlauf durch die Archive beendet?

Davos, Eissägen

Gesucht: Eissägen aus den Bündner Seen – gefunden in Davos

Das fotografische Erbe in Graubünden soll aufgearbeitet werden
Aus den Anfängen des Tourismus, aber auch aus dem täglichen Leben der Bergbevölkerung gibt es eine Vielzahl von fotografischen Dokumenten, die teils noch unentdeckt schlummern, teils bereits gesichert sind. Es besteht indes ein Defizit über die Lokalisierung: Wo befinden sich welche Fotobestände? Seit Jahren harrt die Frage einer Lösung.
Text 
Christian Dettwiler

Gesucht war eine Fotografie zur Illustration, wie früher aus den Bündner Seen Eis herausgeschnitten wurde, um in den Anfängen des Tourismus die Gäste mit gekühlten Getränken und Speisen zu verwöhnen! Die Internet­suche bei Google, bei Wikipedia und Wikicommons ergab nur ungenügende Resultate, aber immerhin Hinweise, wo sich entsprechende Bilder befinden könnten: im Archiv der Bibliothek in St. Moritz und in der Bibliothek Davos. Letztlich war dann die arbeitsintensive Suche von Erfolg gekrönt – eine handkolorierte Fotografie aus der Dokumentationsbibliothek Davos, die mit «ca. 1910» datiert war.

Seit dem Aufkommen der Fotografie sind – nicht nur in Graubünden – eine fast unüberschaubare Flut von Fotografien der Vielfalt und Einzigartigkeit des Globus entstanden. Zwar wurde früher noch nicht so exzessiv wie heute fotografiert (jede Sekunde werden allein auf Facebook über 3000 Fotos «gepostet», 20 Millionen sind es bei Instagram pro Tag), doch seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist ein visuelles Erbe entstanden, das auf verschiedene Arten gesammelt wird.

​Vier Archivtypen

Die aus Tschlin stammende Designerin und Kunstvermittlerin Madlaina Janett hat im Ausstellungskatalog «Ansichtssache» des Bündner Kunstmuseums vier Kategorien von Archiven festgemacht. Da gibt es Privatpersonen, die von Familienalben bis zu Postkarten alles, was mit Bild zu tun hat, zusammentragen und dies mehr oder minder professionell ordnen. Es kommt nicht selten vor, dass solche Sammlungen a) nicht sachgemäss gelagert sind und b) nach dem Tod des Sammlers in Unkenntnis des Schatzes entsorgt werden. Daneben gibt es die «Passionierten», leidenschaftliche Sammler und geschichtsbewusste Nachkommen bedeutender Fotografen, die ihre Bestände sorgsam hüten und allenfalls in professionell geführte und halböffentliche Institutionen integrieren. Dazu gehören das Kulturarchiv Oberengadin in Samedan, das ehema­lige Museum der Bündner Fotografie des 19. Jahrhunderts des 2014 verstorbenen Pierre Badrutt in Filisur (heute Teil des Archivs der Fotostiftung Graubünden), das Kulturarchiv Arosa-Schanfigg von Renzo Semadeni sowie natürlich auch die grösste private Fotosammlung, die seit 2002 als Stiftung geführte Sammlung von Ruth und Peter Herzog, deren Schweizer Konvolut heute im Landesmuseum in Zürich aufbewahrt wird. Eine dritte Kategorie von Sammlern nennt Janett die «Profis». Dazu zählt sie die Kantonsbibliothek und das Staatsarchiv, das Dicziunari Rumantsch Grischun DRG mit seiner «Fototeca», aber auch die Dokumentationsbibliotheken St. Moritz und Davos. Letztlich nennt Janett die «Digitalen», namentlich das Archivio fotografico L. Gisep in Poschiavo und die Fundaziun Capaulina in Chur. Weitere Archive finden sich im Museum Regiunal in Ilanz und vereinzelt bei Gemeindebehörden.

Angelo Klainguti

Im Kulturarchiv Oberengadin liegen rund 150 Fotos von Angelo Klainguti aus der Zeit vor 1900 in digitaler Form vor. (Foto: Kulturarchiv Oberengadin)

​Die Digitalisierung schreitet voran

Heute ist die von Janett definierte Typologie wässrig geworden, denn die Digitalisierung mit der damit verbundenen Erfassung von Hintergrunddaten (sogenannten Metadaten) hat rundum – auch über die genannten Archive hinaus – Einzug gehalten. Es wird indes leider nicht überall mit der nötigen Kenntnis an die Sache herangegangen: Teils werden die Fotografien in sehr unterschiedlicher Qualität gescannt und die Beschlagwortung ist uneinheitlich und bisweilen dürftig. Dies ist eigentlich bedauerlich, gibt es doch seit 1990 einen internationalen Standard zur digitalen Beschreibung von Fotografien (und auch zu audiovisuellen Dateien), den sogenannten IPTC-Standard. Diese Norm erlaubt es, Urheberrechtsvermerke, den Namen des Erstellers, eine Überschrift, Stich-/Schlagwörter sowie GPS-Koordinaten anzugeben und direkt in der Bilddatei zu speichern.

Zevraila,, Jules Geiger

Fotografische Industriearchäologie: Bild des Baus der Staumauer Zevraila von Jules Geiger. (Foto: Fotostiftung Graubünden)

​Im Wirrwarr der Archive

Einer, der die Problematik sehr gut kennt, ist Pascal Werner. Der studierte Architekt, der zurzeit an einem Forschungsprojekt am Institut für Landschaftsarchitektur der ETH arbeitet, kennt fast sämtliche Archive des Kantons und ist sich der Problematik der unterschiedlichen Archivierungsqualität bewusst. Einerseits beklagt auch er die bisweilen vorherrschende Mentalität des Schrebergartendenkens – jedes Archiv denkt primär an seine eigenen Schätze – andererseits sieht er durchaus die Wertschätzung bei den Archiven für seine Beratertätigkeit und Unterstützung. Schon lange ist es Werners Ziel, mit einer Internetplattform etwas Ordnung in den Wirrwarr der Archive zu bringen. Dazu hat er mit seinen Mitstreitern Johannes Meyer und Lukas Frei vor sieben Jahren zunächst den Verein «Cronica» gegründet, aus dem die Mediathek Graubünden und schliesslich die Fotostiftung Graubünden hervorgegangen sind, die seit 2014 mit vielfacher Unterstützung seitens des Kantons, privater Unternehmen, bestehender Fotoarchiven und auch Privatpersonen die Mediathek Graubünden aufbaut. Mit dieser Plattform soll kein zentralisierter Moloch (wie zum Beispiel die Bibliothèque National Française oder der private Fotokonzern Corbis) aufgebaut werden, die Mediathek versteht sich als Netzwerk von digitalen Archiven, die bereits bestehen oder mithilfe der Fotostiftung Graubünden aufgebaut werden. Auch die Urheberrechte sowie der kommerzielle Verkauf der Scans für Reproduktionen verbleiben bei den Partnern. Zurzeit vereinigt das Netzwerk 19 Archive mit unzähligen Sammlungen, wobei die unterschiedliche Qualität sowohl der Fotografien wie auch der hinterlegten Metadaten die Heterogenität der Archivierungsarbeiten belegt: Zu gewissen Fotografien sind sehr umfangreiche, zu andern kaum Daten über Fotograf, Ort oder Motiv hinterlegt. Die Fotostiftung Graubünden sorgt mit ihrer Beratertätigkeit und dem Einbringen von Fachwissen vor Ort dafür, dass sämtliche Fotografien richtig digitalisiert werden. Dem Nutzer der Plattform stehen diese dann als hoch aufgelöste digitale Dateien zur Verfügung. Und vor allem: Ins Netzwerk integriert sind nur ausgewählte Sammlungen einzelner Fotografen oder Motive, nicht aber die Gesamtbestände der einzelnen Partner. Eine Suche nach Aufnahmen des berühmten Engadin-Fotografen Albert Steiner ergab keinen Treffer, obwohl das Kulturarchiv Oberengadin Fotos in digitaler Form hat.
 
Zum jetzigen Zeitpunkt ist das nicht weiter erstaunlich, da die Mediathek Graubünden noch im Aufbau ist und die Partner je nach Kapazität erst mit dem Vernetzen der Bestände beginnen oder daran arbeiten. Dies gilt auch für die Dokumentationsbibliothek Davos – wo das eingangs gesuchte Eisbild via Mediathek nicht gefunden werden konnte. Bis anhin sind nur 35 relativ nichtssagende Stereofotografien aus der Davoser Bibliothek erfasst.

Mediathek GR, Pascal Werner

Pascal Werner will mit einer übergreifenden Medienplattform Ordnung schaffen. (Foto: Rolf Canal)

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Autor
Christian Dettwiler ist Redaktionsleiter der «Terra Grischuna». Er lebt in Flims.
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Online
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