Einmal am grossen Geld schnuppern

Pferdewetten in St. Moritz
Kann man mit Pferdewetten reich werden? Als Laie nur bedingt, wie ein Besuch am White Turf in St. Moritz zeigt.
Text 
Julian Reich
Bilder 
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Das letzte Rennen, die letzte Chance: Leicht verzweifelt und etwas ratlos habe ich mich diesmal nicht an die letzten Rennerfolge gehalten, habe mich nicht geschert um die besten Platzierungen in den vorherigen Rennen, sondern habe einfach auf das Pferd mit dem seltsamsten Namen gesetzt. Strade Kirk, was auch immer das heissen mag, es erinnert an Captain Kirk vom Raumschiff Enterprise, und der sorgte ja auch immer für ein Happy End. Also, vier Franken auf Sieg, sage ich mutig zum jungen Mann im Wettbüro, er verzieht keine Miene, was ich nicht als schlechtes Zeichen deute.

Es ist der erste Renntag am White Turf in St. Moritz, wo die Pferde auf einer Bahn aus Schnee und Eis laufen, darum der Name. Seit 1907 gibt es die Rennen schon, als ein paar eigenwillige Briten sich mit Skiern hinter Pferde spannen liessen und so für die eigene Belustigung und jene der Zuschauer über den St. Moritzer See fuhren. Skijöring nennt sich das, und St. Moritz gilt als einer der ältesten und noch heute wichtigsten Austragungsorte dieser Disziplin.

An diesem Sonntag im Februar aber gibt es kein Skijöring. Und auch die anderen Rennen werden nur auf einer verkürzten Strecke von 800 Metern durchgeführt. Der Grund liegt in den starken Temperaturschwankungen der letzten Tage. Denn diese bringen das Eis in Bewegung, es bilden sich Risse, durch die das Seewasser an die Oberfläche steigen kann – und so die Fahrbahn an gewissen Stellen zu Matsch werden lässt.

 

Wenn das Wasser kommt

Das ist schon einmal geschehen, und es führte zu einem der dunkelsten Ereignisse der langen White-­Turf-Geschichte: Der Jockey George Baker verunfallte 2017 mit seinem Pferd schwer. Das Tier musste eingeschläfert werden, Baker überlebte knapp, verbrachte lange Zeit im Krankenhaus. Danach gingen die Organisatoren über die Bücher. Eine Kombination verschiedener neuer Technologien sollte es neu möglich machen, solche Schwachstellen im Eis frühzeitig zu erkennen. So wird die Piste seit 2018 mit einem Radar abgefahren und mit einer Drohne abgeflogen, an welcher eine Infrarotkamera befestigt ist. Damit hat das Organisationskomitee zwei Tests, um festzustellen, ob zwischen der Eisschicht und der kompakten Schneeschicht Wasser vorhanden ist.

Verkürzte Rennstrecken also an diesem Tag, und ich finde Trost in den Worten des Pferdetrainers Miro Weiss, der deswegen zum Speaker sagt: «Keine Ahnung, wie meine Pferde laufen werden, es ist pure Lotterie.» Nur sind hier hoffentlich die Quoten besser.

Rund 50 000 Franken werden an diesem Sonntag im Wettbüro umgesetzt, sagt Christian Walther, Präsident des Pferdevereins St. Moritz und damit Organisationschef des Anlasses. An den beiden anderen Renntagen, die folgen werden, dürften es noch mehr sein, sagt er, bis zu 100 000 Franken landen dann als Wetteinsatz auf dem Konto des Vereins. Der Verein erhält einen Anteil davon, aber dieser macht nur einen von vielen und bei Weitem nicht den grössten Einnahmeposten aus. Wetten lässt sich ab einem Mindesteinsatz von zwei Franken, wer das richtige Pferd erwischt, erhält die Siegquote, die in einem komplizierten Verfahren errechnet wird. So ganz verstehen muss man das aber auch nicht.

 

Ein Auto für 250 000 Franken

Man kann stattdessen ein wenig übers Gelände flanieren und sich gegen den doch starken Wind stellen, der einem ins Gesicht zieht. Glücklich, wer da einen Pelzkragen trägt, und tatsächlich, Pelze hat es einige, aber nicht so viele, dass das Klischee, mit dem man an den Anlass gereist ist, bestätigt wäre. Natürlich sind da elegant gekleidete Frauen mit Polarfüchsen um die Schultern und Männer, die aus einem Bollywood-Film stammen könnten mit ihren verzogenen Zöglingen an der Hand, natürlich schaut man die Austern an der Eisbar mit einer gewissen Verwunderung an und ebenso den 250 000 teuren BMW, der auf einem Podest steht – aber daneben findet sich eben auch ein Bratwurststand, an dem es stinknormalen Glühwein gibt und Bier sowieso. Die Welt des Geldes, sie ist hier, aber irgendwie auch nicht.

Dass diese ganze Infrastruktur in einer logistischen Meisterleistung auf den gefrorenen See gebracht wird, um an drei Wochenenden wie eine kleine Stadt zu funktionieren, daran denken wohl nur wenige. Kurz nach Neujahr beginnt jeweils der Aufbau der Zeltstadt, die über 13 000 Zuschauer aushalten muss – von der Toilette über den Bratwurststand bis zur VIP-Zone. «Wir sind dabei möglichst umweltverträglich: Jede Gabel, jeder Löffel und jeder Teller muss zuerst auf den See, dann aber auch wieder vom See weggebracht werden», sagt OK-Chef Walther. Wo immer möglich wird mit Holz gebaut, denn sollte dieses irgendwie zurückbleiben, wird es später ans Ufer geschwemmt und herausgezogen. «Nachhaltigkeit wird bei uns grossgeschrieben», erklärt Walther.

Nachhaltig findet Walther den Anlass ohnehin, auch mit Verweis auf die Geschichte. Dass in der heutigen Zeit so etwas wieder entstehen könnte, bezweifelt er, zu gross wären die Widerstände. «Der Pioniergeist von damals fehlt uns heute.»

 

Der Captain macht das Rennen

Aber zurück auf die Zuschauertribüne, das letzte Rennen dieses Tages beginnt bald. Der Speaker hält das Publikum auf dem Laufenden, erklärt, welches Tier bereit ist und welches noch in die Box geführt werden muss. Es zieht sich hin. Dann aber plötzlich, der Startschuss. Und so klingt es dann, bevor die Pferde durch Schneegestöber und Ziellinie rasen: «Daisy Bere hat einen guten Start, dann ganz aussen auch Renny Storm, dann ist Amazing Rock zur Stelle, ganz innen Torbellino mit Strade Kirk, hinter dem Feld ist Fleur d’Ipanema und auch Billy Fly. Vorne ist Renny Storm zusammen mit Daisy Bere, Strade Kirk macht hier einen super Eindruck, Torbellino is fourth, Torbellino on fourth position, it’s Daisy Bere and Strade Kirk, Strade Kirk and Daisy Bere, followed by Renny Storm, it’s Strade Kirk, Strade Kirk and Torbellino, Strade Kirk Torbellino with Renny Storm, Strade Kirk gewinnt dieses Rennen, noch ein Tagessieg für Championtrainer Miro Weiss.»

Strade Kirk, der Captain, der alles zu einem Happy End bringt, hat also gewonnen. 29.90 Franken bringt mir das ein, was meine Bilanz verbessert, statt 40 Franken Verlust nur noch knapp zehn. Statt reicher also ärmer geworden, zumindest monetär.